Nachtrag, Hamburg im Februar 2019
Yannick bat mich seine Bilder nicht mehr zu verwenden, denn: „Ich lebe ja sehr straight und unerkannt innerhalb meines Umfeldes und lege großen Wert darauf, dass meine Vergangenheit keinen auffälligen Zugang mehr in mein jetziges Leben findet.“
Fotos, auf denen er zu erkennen ist, wurden deshalb aus dem Post gelöscht.
Und ich frage mich: In was für einer Gesellschaft leben wir, dass ein Mensch das Gefühl hat, seine Vergangenheit auslöschen zu müssen.
Düsseldorf im Februar 2014
Am Rhein gehen Yannick* und ich nebeneinander her. Nein, wir rennen eher, als dass wir gehen. Uns ist kalt.
Yannick redet so schnell, wie wir laufen. Er muss so vieles loswerden.
Aus Ratingen ist er nach Düsseldorf gekommen, um sich mit mir für „Max ist Marie“ zu treffen. „Ich bin öfter mal hier. In Düsseldorf bin ich auch zur Schule gegangen. Auf eine katholische Mädchenschule.“ Dass Yannick unter so vielen Mädchen war und sich nicht mit Jungs auseinandersetzen musste, empfindet er heute als großes Glück. „Mädchen sind anders. Die akzeptieren solche Sachen, bei Jungs hätte ich mich ganz anders rechtfertigen müssen.“
Als er später auf der weiterführenden Schule war, sah er die anderen Jungs so unbeschwert und ohne Sorgen über den Schulhof laufen. „Da dachte ich schon auch mal: „Warum ich, warum nicht einer von ihnen?““
Heute studiert Yannick an einer katholischen Universität in Köln im Studienfach Soziale Arbeit. Der Ansatz der Uni, das Theoretische mit dem Praktischen zu verbinden, überzeugt ihn: „Was habe ich denn davon, wenn ich theoretisches Wissen über Menschen mit Behinderungen habe, wenn ich es nicht auch praktisch erfahren habe?“ Praktische Erfahrung konnte Yannick bereits sammeln. Vor dem Studium arbeitete er in einer Behindertenwerkstatt mit geistig schwer behinderten Menschen. „Diese Menschen können einem so viel geben. Mein Held dort war Leon. Er hat eine schwere Form des Down-Syndroms. Jedes Mal, wenn er mich gesehen hat, hat er sich gefreut. Einmal hat er ein Handyvideo von sich gedreht. In diesem Video hat er mir gesagt, dass er mich liebt.“ Im Umgang mit diesen Menschen zähle auch ich einfach nur als Mensch. Keinen interessiert meine Geschichte und ob ich Mann bin oder Frau.“
Mit den Behinderten studierte Yannick ein Theaterstück ein: Peter und der Wolf. „Sie erkannten ihren Einsatz an der Musik. Das war ganz großartig zu sehen.“
Yannick spielt selber auch gerne Theater. Seinen Master-Studien-Abschluss möchte er mit dem Schwerpunkt Theaterpädagogik machen und so seine beiden Leidenschaften, das Für-Andere-Dasein und das Theaterspielen, miteinander verbinden.
Yannick hat sich früh auf seinen Weg gemacht. „Ich war immer ein Junge, habe mich so gegeben und gefühlt.“ Nur sein Körper hat ihn immer wieder verraten. Zuhause versuchte er, die Mädchenrolle, die für ihn vorgesehen war, zu spielen. „Ich spiele gerne Theater, aber ich kann nicht mein Leben als Rolle spielen,“ das erkannte Yannick, als er 13 war.
2009 schrieb er einen Brief an seinen Vater, da war er 15. In diesem Brief erzählte er über seine Transidentität. „Die Situation war so nicht mehr haltbar. Das wurde immer lächerlicher. Meine Freunde und deren Eltern wussten schon lange davon, sie nannten mich auch schon bei meinem männlichen Vornamen. Meine Eltern bekamen das natürlich mit, aber sie sprachen mich nie darauf an. Lieber totschweigen und so tun, als wären wir die Vorzeigefamilie und alles wäre gut.“
Yannick erinnert sich an eine Situation, als seine Mutter mit ihm Fussballschuhe kaufen ging. Die Verkäuferin versicherte: „Die Schuhe passen ihrem Sohn gut.“ Darauf seine Mutter: „Das ist meine Tochter!“ „Sowas passierte immer wieder. Damit hat sie auch die Verkäuferinnen in eine wirklich peinliche Lage gebracht.“
Es war ein langer Weg, bis Yannicks Eltern sich in die Situation einfinden konnten. „Mein Bruder war super! Er hat immer zwischen mir und meinen Eltern vermittelt.“
Yannicks Bruder ist zwei Jahre älter. Mit drei Jahren sagte Yannick zu ihm: „Ich will sein wie Du.“ Sein Bruder konnte einfach der Junge sein, der er auch gerne gewesen wäre.
Nach Yannicks Brief an seinen Vater folgten schwierige Monate. Yannick lief von Zuhause weg. „Das war, nachdem mein Vater zu mir gesagt hatte: „Meine Tochter ist gestorben.“ Heute weiß ich, was er damit sagen wollte: Dass er keine Tochter mehr, dafür aber einen Sohn hat. Ich hatte das völlig missverstanden und dachte, er meinte, dass ich als Mensch, als sein Kind, für ihn gestorben sei und er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. In so einer seelischen Verfassung war ich damals.“
Sein Bruder druckte ihm zum Abschied ein Bild von ihnen beiden aus und schrieb auf die Rückseite: „Ich liebe Dich und Du wirst immer mein kleiner Bruder sein.“
Eine Woche lang wohnte Yannick bei einer Schulfreundin. Als er nach dieser Woche wieder nachhause kam, konnte seine Mutter zum ersten mal zu ihm sagen: „Ich bin stolz auf Dich. Ich bin stolz darauf, wie Du das alles schaffst und auf Deine Stärke.“ „Das war so wertvoll für mich. Vor kurzem sagte auch mein Vater wieder zu mir, wie stolz er darauf ist, dass ich meinen Weg gefunden habe, dass ich jetzt studiere und mir das alles erkämpft habe. Das ist das schönste Gefühl, wenn meine Eltern stolz auf mich sind. „Danke, das bedeutet mir sehr viel.“ sagte Yannick zu seinem Vater.
„Die beiden haben wirklich eine 180 Grad Drehung geschafft. Ich hätte ihnen das damals nicht zugetraut. Heute verstehe ich aber vieles von dem, was sie gesagt und getan haben sehr viel besser. Ich sehe, was sie durchgemacht haben. Wenn ich es mir aussuchen dürfte: Sollte ich jemals ein Kind haben, würde ich ihm wünschen, dass es nicht transident ist. Transidentität würde ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen.“
Yannicks Mutter brauchte lange, bis sie ihn als Jungen akzeptieren konnte. „Sie war drei Jahre lang in Therapie, das hat ihr geholfen.“
An dem Tag, an dem Yannick begann, die gegengeschlechtlichen Hormone zu nehmen, schenkte seine Mutter ihm einen Kugelschreiber, auf dem sein neuer Name eingraviert war. „Ich kann ihn noch nicht aussprechen, aber ich möchte, dass Du weißt, dass ich zu Dir stehe“, sagte sie.
Es gab einen weiteren großen Moment, in dem Yannick wusste, dass er so angenommen wird, wie er ist: „Meine Eltern feierten ihre Silberhochzeit mit einer großen Fete mit vielen Freunden. Meine Mutter hielt eine Rede, in der sie sagte: „Das beste, was wir geschafft haben, sind unsere beiden Jungs.“ Und ich dachte einfach nur „Wow!““
Mit der Akzeptanz kam die Unterstützung. Nur so konnte Yannick schon mit 17 mit der Einnahme der gegengeschlechtlichen Hormone beginnen. „Dafür brauchte ich ihre Unterschrift. Meine Eltern informierten sich ganz genau, klärten mit dem Therapeuten mögliche Risiken – und vertrauten mir. Sie halfen mir auch einen Gutachter für Minderjährige zu finden und unterstützten mich mit dem ganzen Papierkram. Es ist viel zu viel, worum man sich kümmern muss. Und das kann man eigentlich gar nicht, weil man so sehr mit sich selbst beschäftigt ist.“
Mit jedem Schritt, der ihn seinem männlichen Körper näher bringt, wird Yannick glücklicher. Jede Hormonspritze, jede OP. „Das wusste ich von Anfang an: Dass das genau mein Weg ist und dass am Ende dieses Weges das Glück wartet.“
Ein Problem hat er schon damit, als gesunder Mensch ins Krankenhaus zu gehen und nicht zu wissen, was nach der OP sein wird. „Ich empfinde es als ungerecht, dass ich überhaupt keine andere Wahl habe. Die Möglichkeit zu sagen: „Ich lass das alles!“, die habe ich nicht. Aber wenn ich bei einer OP mein Leben lassen müsste, so hätte ich es wenigstens versucht.“
Gleichzeitig ist alles so wahnsinnig anstrengend, so belastend.
„Nach jedem Schritt, nach jeder OP, jedem neuen Medikament muss man sich selber reflektieren: Stimmt mein Weg noch?“ Mein Therapeut meinte damals, 1% der Menschen, die den Weg der Transidentität gehen, erkennen später, dass es der falsche war. Wenn Du dann schon fertig bist und alle OPs hinter Dir hast: Was bleibt denn dann noch?“
„Eine Zeitlang war ich sehr wütend. Ich konnte niemandem die Schuld geben für das, was ich durchmachen muss; es gab niemanden, auf den ich all meinen Seelenschmerz hätte werfen können. Da fing ich an, die Schuld bei mir zu suchen. Jetzt kann ich meinen Weg immer besser annehmen. Aber es ist Arbeit.“
Ich spreche Yannick auf sein schönes Profil-Foto auf WhatsApp an. „Das ist tatsächlich aus einem Fotoshooting, das ich mir zu meinem 18. Geburtstag von meinen Eltern gewünscht hatte. Mit der Brust-OP war ich damals schon durch und habe auch Fotos mit nacktem Oberkörper machen lassen. Das war echt super!“
Ganz zufrieden ist Yannick noch nicht mit seinem Oberkörper. „Ich wünschte, ich wäre da weniger oberflächlich, aber ich bin sehr körperorientiert. Alles weibliche muss eliminiert werden. Deswegen mache ich viel Krafttraining.“
Den meisten Menschen, die Yannick heute kennenlernt, erzählt er nicht von seiner Transidentität. „Ich bin ich als Mensch, ich definiere mich nicht über das Transidentsein. Wenn es dann doch mal zur Sprache kommt und ich abwehrende Reaktionen bekomme, tut es mir leid für mein Gegenüber. Ich muss ja nicht auch noch die Probleme anderer Menschen auf mich packen. Ich habe schon genug mit mir zu tun. Wenn man so eine Geschichte hat, muss man wirklich davon wegkommen, davon zu träumen, dass jeder einen akzeptiert und man jedem gefällt. Sonst schafft man das alles nicht.“
„Wenn ich eine Frau kennenlerne, mit der ich mir eine Beziehung vorstellen könnte, habe ich immer die Hoffnung, dass sie sagen kann: „Ich nehme Dich so, wie Du bist. Ich nehme Dich als Menschen.“ Yannick macht eine Pause.
„Nach dem ersten Treffen lauert da immer ein Päckchen, das ich ihr irgendwann vor die Füsse schmeißen muss.
Ich muss soviel von meinem Gegenüber erwarten, obwohl ich das eigentlich gar nicht will. Das muss ich aber. Die Frau, mit der ich in einer Beziehung lebe, muss akzeptieren, dass Sex mit mir anders ist und dass ich ihr keine Kinder schenken kann. Ich werde nie ein Papa sein, der sagen kann, mein Kind hat meine Nase.
Und nicht nur diese offensichtlichen Dinge muss ich erwarten, sondern auch, dass sie mich in Zeiten, in denen es mir schlecht geht, aufbaut, dass sie stark ist auch für mich.“
Bisher hatte Yannick in Beziehungen immer Glück. „Ich weiß aber schon, dass es nicht selbstverständlich ist, jemanden zu finden, der mit all dem umgehen kann.“
Auch andere zwischenmenschliche Beziehungen empfindet Yannick manchaml als schwierig:
„Manchmal denke ich: Oh Mann, jetzt mach aber mal ’nen Punkt“, wenn mir andere von ihren Problemen erzählen. Mit unserem Hintergrund ist das wirklich nur schwerlich erst zu nehmen, wenn jemand ein echtes Problem damit hat, dass er nur eine zwei in einer Klausur geschrieben hat. Daran möchte ich arbeiten: Ich muss auch lernen, die Probleme der anderen zu akzeptieren. Für sie in ihrer Situation sind es ja Probleme und sie empfinden es als schlimm.“ Jeder lebt mit seinem Hintergrund.
Es gibt einen Menschen in seinem Leben, der Yannick immer wieder erdet. Es ist Holger, ein geistig schwer Behinderter. Ihn hatte er schon während seiner Zeit in der Behindertenwerkstatt betreut, jetzt trifft er ihn noch immer. „Holger hilft mir mit seiner tiefen Liebe, die er zu einer Frau empfindet, die im herkömmlichen Sinne wirklich nicht schön ist,, immer wieder auf den Boden zu kommen und mich selber zu reflektieren: Was ist wirklich wichtig im Leben?“
Auf unserem Weg zurück zu den Apollo-Terrassen erzählt Yannick von einer Free Hug Aktion, bei der er vor kurzem dabei war: “ Das war eine schöne Erfahrung. Da steht eine lange Schlange, die immer länger wird. Du gehst sie entlang und umarmst jeden Menschen bis Du zum Ende der Schlange kommst und Dich selber hinstellst, um Umarmungen zu verteilen. Früher hätte ich das nicht gekonnt. Umarmungen waren mir unangenehm, weil ich immer Sorge hatte, man könnte meinen Brustbinder spüren.“ Jetzt ist da nichts mehr, was man spüren, was ihn verraten könnte.
Yannick genießt es, in der Menge unterzugehen, wie er sagt. Er möchte nicht über seine Transidentiät definiert werden. Deshalb erzählt er nur noch wenigen Menschen, die er heute kennenlernt, von seiner Geschichte.
Dennoch geht er, wenn er glaubt etwas bewegen zu können, an die Öffentlichkeit. Deshalb ist er bei „Max ist Marie“ dabei: „Transgender-Menschen sind keine Stereotypen! Man kann nicht sagen, der eine Transgender ist so, also sind alle so.
Trotz unserer gemeinschaftlichen Geschichte sind wir immer noch Individuen. Und auch mit der gemeinschaftlichen Vorgeschichte gehen wir alle ganz unterschiedlich um.
Wir sind zwar eine „Randgruppe“ der Gesellschaft, aber wir sind nicht zu verallgemeinern und zu typisieren. Und unsere Gruppe an Menschen ist groß genug, dass es falsch wäre unsere Lebens-Thematik zu ignorieren.“
*alle Namen wurden auf Wunsch geändert
Was ’ne Schnitte!
Ich entschuldige meine (anschenende!) Oberflächlichkeit.
Um ein wenig dagegenzuwirken: Was aus diesen Augen strahlt fängt mich und gibt mir Wärme. Das ist ein so wertvolles Privileg.
Niemals unterkriegen lassen, Yannik, NIEMALS! Hast du gehört? Egal ob beim Schneeschippen, Schnitzelpanieren oder bei seelischen Dingen. Du bist verdammt wertvoll.
Und so.
Liebe Grüße. Batschpeng
Ich habe Tränen in den Augen. Bleib so stark und großartig und wundervoll!
Hallo! Es ist echt super das der Yannick so positiv mit seiner Transidentität zurechtgekommen ist und auch Solidarität mit Menschen mit Behinderung hat.
Etwas Übertrieben finde ich seine Aussage,das er Transidentität nicht mal seinem schlimmsten Feind wünschen würde-ich bin der Ansicht das es extremere schwerere Schicksale als Transidentität oder Intersexualität gibt auf der Welt.
Wichtig ist stets das man über den Tellerrand schaut und das Beste aus seinem Leben macht:))
Auch ich habe Tränen in den Augen : wie traurig ist das denn dass du dich immer noch verstecken musst obwohl du so ein starker Mensch bist.
Alles alles Liebe
Ich wünsche dir dass diese Welt sich so ändert damit du und Andere einfach sein können wer sie wirklich sind
Und du stolz deine Photos hier stehen lassen kannst.?