Heiligenhaus bei Düsseldorf im Februar 2014
Andrea erwartet mich am Flughafen. „Vor ein paar Jahren noch hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ich einmal ein eigenes Haus haben würde. Jetzt lebe ich mit meiner Freundin und unseren zwei Kindern in unserem Fachwerkhaus etwas außerhalb von Düsseldorf.“ So hatte Andrea mir in ihrer ersten Mail geschrieben. Andrea hat mich zu sich Nachhause eingeladen, damit ich auch ihre Familie kennenlernen kann.
Andreas Auto steht im Parkhaus. „Jetzt wirst Du mal sehen, wie teuer es hier ist zu parken. Ich weiß das gut, weil ich einige Jahre am Flughafen gearbeitet habe.“ Andrea ist Fachinformatikerin für Systemintegration. „Das spannende an dem Job ist, dass man immer wieder in einem neuen Umfeld und mit neuen Menschen arbeiten kann. Ich hätte aber gerne „noch mehr Mensch“ in meinem Beruf. Eigentlich würde ich gerne im sozialen Bereich arbeiten, wo man etwas bewegen kann.“ Andrea überlegt. „Na ja. „Bewegen“ ist schon ein großes Wort. Aber zumindest das Leben von Menschen ein Stück besser machen. Bei der IT helfe ich zwar Menschen mit ihren Computerproblemen, aber das ist nicht das echte Leben.“
Wir sitzen im Auto und lachen über die eher eingeschränkte Sicht durch ihre Frontscheibe und darüber, dass wir offensichtlich beide wichtigeres im Leben zu tun haben, als Wischwasser nachzufüllen.
„Hast Du denn schon gefrühstückt?“ fragt Andrea mich noch im Auto. „Da sind noch Brötchen von unserem Frühstück übrig – es sei denn unser Sohn hat sie aufgegessen. Unglaublich, wie viel die essen können in der Pubertät.“
Schon im Auto erzählt Andrea. Mein Block liegt im Kofferraum. „Mach Dir keine Sorgen, ich rede auch nachher noch viel. Eigentlich rede ich immer.“
Andrea beschreibt, wieviel Glück sie im Leben gehabt hat mit all den Menschen um sie herum, die sie aufgefangen haben in verschiedenen Lebenssituationen. Auch und ganz besonders während ihrer Transition.
„Ein Jahr nach meiner Transition war ich bei einer Hochzeit eingeladen. „Ihr wisst aber schon, dass ich dann als Frau komme?“ habe ich die Freunde gefragt. „Ja, klar. Das ist doch kein Problem. Du weißt Dich doch zu kleiden.“ Ich habe echt Glück, solche Freunde zu haben.“
Nach zwanzig Minuten fahren wir durch Ratingen. „Und wir sind immer noch nicht da.“
Andrea hat „hessischen Migrationshintergrund“, wie sie es nennt. Aber bevor sie zu Nina nach Heiligenhaus zog, war sie „30 Jahre lang eingetragene Düsseldorferin. Ich fand es sehr toll, in der Stadt zu leben und dachte, ich würde immer dort wohnen bleiben wollen. Aber jetzt liebe ich die Felder, die Natur. Außerdem habe ich immer einen Parkplatz vor der Tür.“ Das Haus von Nina und Andrea liegt direkt an einem Golfplatz.
Wir betreten das Grundstück durch das Gartentor. Liebevolle Details überall.
In der Küche erwarten uns Andreas Lebensgefährtin Nina und eine Freundin, Mia. Und Gemütlichkeit und Lachen. Kerzen brennen auf dem Tisch. Auf Ninas Schoß schläft der kleine Welpe Keks, der seit ein paar Tagen bei Andrea und Nina lebt. Klar, dass wir uns erstmal lange über Hunde unterhalten. Nina arbeitet in einer Hundetagesbetreuung (HUTA). „Vorher habe ich Hundesitting gemacht. Ich hatte einen guten festen Kundenstamm. Dann zogen meine besten Kunden weg. In der HuTa habe ich eine Festanstellung und damit ein fixes Monatsgehalt und die entsprechenden Sozialleistungen.“
Andrea und Nina haben nicht nur Keks, sondern auch Fly und Mikos. „Fly ist unsere schwer erziehbare. Sie war ein Strassenhund. Die macht nur Sitz, wenn sie etwas dafür bekommt. Außerdem hat sie so einen starken Jagdtrieb, dass sie nur in Gegenden, die sie nicht kennt, von der Leine kann.“
Mia deutet an, dass sie Keks eventuell aus Versehen in ihrer Taschen verschwinden lassen könnte, wenn sie geht. Mia ist auch Transfrau. „Ich muss jetzt los. Ich brauche Schönheitsschlaf gegen die Augenringe.“ „Augenringe können doch auch charismatisch sein,“ meint Andrea. „Oh nein!“ protestiert Nina. „Falten vielleicht, die ja, aber doch nicht Augenringe!“ Andrea erzählt, sie habe neulich von einer Frau gelesen, die versucht habe, ihr ganzes Leben nicht zu lachen, um keine Falten zu bekommen. Bekam sie trotzdem. Andrea und Nina lachen viel miteinander.
Andrea stellt mir Marmelade und vegane Aufstriche auf den Tisch. „Die Marmelade hat Nina aus den Brombeeren im Garten gemacht. Wenn die Äpfel reif sind, macht sie auch einfach mal eben Apfelgelee.“ Es gibt Kaffee und Chaitee. Nina und Andrea leben vegetarisch bis vegan und haben entsprechend viele Bioprodukte Zuhause. „Ich war eine gute Partie.“ meint Andrea lachend. „Meine Mama hat einen Bioladen in Düsseldorf.“
Andrea nimmt den Faden von vorhin auf und erzählt weiter von der Unterstützung, die sie erfahren durfte.
Schon in der 11. Klasse hatte Andrea gute Freunde.
Sie nahmen sie, wie sie war und zogen auch mit ihr los um Klamotten zu kaufen.
„Damals habe ich mich noch nicht so wirklich ausprobiert und dachte, ich wäre Transvestit. Die sind das alles mitgegangen. Das war immer mein großes Glück: der Rückhalt von den Menschen, die um mich waren und sind.“
Vor kurzem war Andrea auf einer Konferenz, die sich um Menschen aus dem LSBTTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle)-Umfeld im Beruf drehte. Andrea lernte eine Frau mit transsexuellem Hintergrund kennen, die in einer führenden Position im öffentlichen Dienst beschäftigt war. Sie hatte es zu etwas gebracht. „Die fand, dass Transmenschen auch bei Bewerbungsgesprächen selbstbewusst auftreten sollten. Dann nähmen einen die Leute auch viel selbstverständlicher ernst. Aber viele vergessen dabei, dass es auch verdammt viele gibt, die viel verloren haben; die viel Ablehnung erfahren haben und die dadurch nicht das Selbstbewusstsein oder das nötige Standing haben. Ganz einfach, weil ihnen der Rückhalt fehlt.“
Deshalb engagiert sich Andrea in verschiedenen Gruppen. Sie leitet einen Stammtisch, sie besucht eine Selbsthilfegruppe um andere auf ihrem Weg zu unterstützen und sie ist aktiv bei SchLAu NRW, einem Netzwerk dass in Schulen und Jugendgruppen über schwule, lesbische, bisexuelle und trans*-Leben aufklärt.
Sie macht sich Sorgen, über den Druck, den besonders junge Transfrauen sich selber machen. „Einige messen sich da an Schönheitsidealen, die kaum einer erfüllen kann. Sie wollen aussehen wie „eine echte Frau“. Aber es gibt ja nicht DIE echte Frau. Es gibt so viele unterschiedliche Frauen wie es Menschen gibt. Was soll das denn sein: eine echte Frau?“
Andrea findet, dass es nicht ausschließlich die Mitmenschen sind, die den Trans-Menschen das Leben schwer machen. „Man steht sich ganz häufig selber im Weg. Dieses ständige Überlegen ob man jetzt als „trans“ erkannt wird und das Kopfkino, das daraus entsteht. Als ich meinen Alltagstest machte, habe ich ihn zu 100% gemacht und bin auch im Bikini ins Schwimmbad gegangen. Auch oder gerade weil ich lernen wollte, wie ich mit solchen Situationen umgehe. Entweder bin ich Frau oder ich bin es nicht – und Frauen gehen nun einmal in entsprechenden Badesachen schwimmen. Ich möchte mir mein Leben nicht selber einschränken dadurch, dass ich mir Sorgen mache, was andere über mich denken könnten oder ob sie mich als diejenige annehmen, die ich bin.“
Letztes Jahr gab es in der Brigitte eine Aktion „60 Stimmen“, bei der außergewöhnliche Frauen zu Wort kamen. In diesem Rahmen wurde Andrea eingeladen eine Kolumne über sich zu schreiben. „Ich wollte in meinem Text die Lebbarkeit zeigen. Einen positiven Bericht. Nicht über den Weg, sondern darüber dass es gut werden kann. Schön sein kann. Das kam gut an.“
Ich bekomme eine Führung durch das Erdgeschoss. Die Wände sind in warmen Farben gestrichen, die Balken frei gelegt. „Das Haus ist aus dem vorigen Jahrhundert. Uns war es wichtig, den alten Charme zu erhalten.“
An der Treppe zum Erdgeschoss ein Schild. „Das haben wir aufgehängt, als unsere Tochter in die Pubertät kam. Sie fand das gar nicht witzig. „Dabei war das wirklich nicht doof gemeint. Wir wollten damit sagen, dass es eben so ist und dass es auch ok so ist. Das Gehirn ist in der Pubertät im Umbruch, das kann man nicht ändern. Und außerdem sind es ja bekanntlich die Eltern, die in der Zeit Probleme machen und nicht die Jugendlichen.“
Andrea erzählt, dass Nina ihr vor ein paar Jahren ein echtes Fotoshooting schenkte. Ein oder zwei Bilder aus dem Shooting hatte sie in einer Transgruppe auf Facebook gepostet. Es gab zwar viele positive Rückmeldungen, aber durchaus auch andere: „Ach, das sind ja professionelle Fotos vor der Leinwand, da kann man ja viel retuschieren.“
„In den Gruppen sind Menschen aller Couleur unterwegs. Teilweise auch sehr anstrengende. Die regen sich an einem Tag furchtbar über etwas auf, als wenn die Welt untergehen würde. Am nächsten Tag ist wieder alles super. Und dann kommt das böse Erwachen. „Oh Gott, was habe ich da geschrieben?“ Mensch! Ich muss doch nicht alles an die Öffentlichkeit tragen. Manche stellen auch ein ganzes Gutachten ein. Da stehen unglaublich private Sachen drin, das ist doch Wahnsinn!“
Mia, die doch noch läger geblieben ist, hält dagegen: „Einige Mitglieder aus Transgruppen sind komplett isoliert. Für die ist Facebook die Welt. Wenn sie dort nicht gemocht werden, mag sie keiner. Vor kurzem rief ich bei einer Zuhause an. Die hat geweint vor lauter Glück, weil sich jemand persönlich bei ihr gemeldet hat.“
Nina möchte noch joggen gehen. Sie wirft sich in ihre Laufklamotten. „Mama, die Hose ist Dir zu kurz,“ bemängelt ihre Tochter. „Das stimmt. Das ist Andreas.“ „Oh, Andrea, dann ist sie Dir ja noch viel mehr zu kurz.“
Im Mai werden Nina und Andrea beim Staffellauf „Zwischen den Meeren“ mitlaufen. „Andrea muss auch wieder anfangen zu trainieren, damit sie bis dahin fit ist,“ meint Nina. Ein liebevolles Verabschieden im Garten und weg ist sie.
Nina und Andrea kennen sich seit der 9. Klasse. „Damals haben wir uns aber gar nicht wahr genommen. Wir waren in zwei völlig unterschiedlichen Universen unterwegs. „Erst beim Abi-Jahrestreffen 2008 haben wir uns zum ersten Mal richtig unterhalten.“ Wenig später besuchte Andrea Nina Zuhause auf einen Tee. „Wir saßen zusammen und auf einmal war es spät in der Nacht. Wir hatten stundenlang einfach nur gequatscht. Das war wirklich schön.“
Für Andrea war schnell klar, dass es mit Nina mehr war als „schön“.
Aber Nina war verheiratet und sie stand auf Männer – und auch Andrea suchte eigentlich einen Mann.
Wie sollte das schon etwas werden? „Ich habe nichts unternommen, der erste Impuls musste von ihr kommen. Irgendwann öffneten wir uns füreinander. “
„Das passt einfach alles mit uns, auch mit den Kindern.“
Bei einem ihrer ersten Treffen war auch Ninas Tochter da. „Mama, ist das ein Mann oder eine Frau?“, fragte sie ihre Mutter, als sie Andrea sah. „Das musst Du sie schon selber fragen,“ war Ninas Antwort. Wenig später die ähnliche Frage von Ninas Sohn. Diesmal war es die Tochter, die die Antwort gab: „Jetzt guck nicht so. Das gibt es halt.“
Heute reden die Kinder von Andrea als „die Freundin meiner Mama“. „Wir sind von Anfang an offensiv damit umgegangen. Bloß keine Geheimhaltung, das würde aussehen, als wäre etwas falsch. Das sind nicht die Werte, die wir den Kindern vermitteln wollen. Verheimlichen würde auch bedeuten, dass hinter unserem Rücken über uns geredet werden würde. Dann haben wir das nicht mehr unter Kontrolle. Ich möchte lieber mit den Menschen direkt sprechen und sie Fragen stellen lassen.“ Wenn es Events in der Schule gibt, ist Andrea dabei. Vor Weihnachten war sie auch zum Plätzchenbacken dort.
Vor kurzem hatten Andrea und die Tochter eine Meinungsverschiedenheit. „Junges Mädchen!“ habe ich da zu ihr gesagt.“ Ihre Antwort: „Ich bin kein junges Mädchen.“ -“Was bist du denn dann?“ „Na ja, Du warst ja auch nie ein echter Junge, vielleicht bin ich dann auch kein echtes Mädchen.“ Ich glaube nicht, dass sie trans ist. Aber wie sie damit zeigte, wie sehr sie das ganze schon verstanden hat, das finde ich wirklich großartig.“
Das ist so wunderbar, liebe Andrea – und ein starkes Signal für viele andere, die diesen Weg gegangen sind oder ihn noch vor sich haben, dass es ein wirkliches leben im wirklichen Leben gibt.
Und dass soziales Abseits nicht zwangsläufig als Ergebnis stehen muss.
Danke dafür und alles Liebe für dich/ euch
Mona
Hi Andrea
Schon zu lesen, dass noch andere ein tolles Umfeld haben. Uns geht es genauso, und das wird von einer gewissen Offenheit, die man selbst hat, wohl auch noch unterstützt.
Liebe Grüße
Asta
Hallo Andrea,
Es hat mir sehr viel Freude gemacht deine Geschichte zu lesen. So positiv und voller Lebensfreude! Ich hätte am liebsten noch weiter gelesen und mehr über dich, deine Familie und euer Haus erfahren. Schön, dass es auch so positive und irgendwie selbstverständliche Geschichten gibt.
Alles Gute für euch!
Nika
hallo da draußen,
wenn es mir zusteht das zu sagen:
ich bin SO STOLZ auf euch!
alle lieben wünsche für die zukunft!
fester drücker durch das internetz,
henrik*
Es hat mir wirklich Spaß gemacht, diesen Artikel zu lesen. Andrea, du wirkst so glücklich, scheinst voller Lebensfreude zu sein und ich finde das echt wunderbar.
Deine Geschichte gibt Hoffnung und ich denke, dass ist etwas, das viele (junge) Menschen brauchen.
Danke, dass du diesen Artikel mit uns geteilt hast! 🙂
Toll Andrea Ich sage Hüt ab.und wünsche dir weiterhin die Einstellung.
In meinem Buch ich bin Ich -Mein transsexuelles Leben(es geht auch einfach)erscheint am 5.5.15 habe Ich meine Geschichte geschrieben.
Und wie Du habe Ich die Einstellung „DENKE POSITIV“ dann ist alles möglich.
Weiter so und alles Glück dieser Erde für Dich.
Liebe Grüße
Michaela
Hallo Andrea,
es ist wundervoll, Frau zu sein! Mein Leitspruch ist: Wenn es eine Pille gäbe, die mich vom Weiblichen ins Männliche verkehren könnte, ich würde sie nicht nehmen.
Cornelia