Friedrichsstadt im Mai 2014
„Josy hat mich gefunden. Und sie hat die ganzen Hochs und Tiefs mit mir durchgemacht.“ Eigentlich hatte Jan, der damals noch eine Frauennamen trug, einen anderen Hund ansehen wollen.
Auf dem Weg dorthin verfuhr er sich, bog verkehrt ab und landete auf dem falschen Bauernhof. Dort tapste eine kleine Hündin auf ihn zu: Josy, die Jan seit sieben Jahren begleitet. „Sie ist Waage, ich bin Zwilling, das passt doch,“ grinst er. „Solange sie bei mir ist, werde ich immer nur halbtags arbeiten, Fremdbetreuung hat sie nicht verdient.“
Da sitze ich also in Jans Wohnung. Wir hatten ein paar Mal miteinander gemailt und schon in seiner ersten Mail hatte er mir einiges von sich erzählt. Begegnet aber sind wir uns heute zum ersten Mal. Und doch ist da sofort eine Vertrautheit. Und dieses absolute Vertrauen, mit dem Jan mir seine Geschichte erzählt.
Josy ist der Einstieg in unser Gespräch. Von seinem Leben mit seiner Hündin erzählt Jan und davon, wie sie jeden Tag zusammen durch Friedrichsstadt laufen bis runter zum Wasser, Jan sich auf den Steg setzt, während seine Hündin im Wasser tobt. „Wenn ich hier abends dem Sonnenuntergang zusehen kann, bin ich glücklich.“
Als ich Jan besuche, ist schönstes Sommerwetter und wir beschließen, einen Spaziergang zu „ihrem“ Steg zu machen.
Ein Ton von ihrem Herrchen und Josy steht bei Fuß. Ich bin beeindruckt. Jan lacht: “ Als ich mit dem Testosteron anfing und meine Stimme dunkler wurde, hat sie erstmal gar nicht mehr auf mich gehört.“
Die erste Testosteron-Spritze bekam Jan im November 2011, da war er 40. Hinter ihm lagen viele Jahre Leid. „Kannst Du Dir das vorstellen? In dem Moment, in dem ich wusste, was mit mir los ist, hörten meine Depressionen, die ich so viele Jahre mit mir rumgeschleppt hatte, einfach auf.“ Die Depressionen gehörten in sein altes falsches Leben, nicht in sein neues richtiges.
Wir laufen weiter am Wasser entlang. Josy holt die Stöcke, die Jan ihr ins Wasser wirft. Dann setzen Jan und ich uns auf eine Bank. Und schon bereue ich, meinen Stift und Block in Jans Wohnung gelassen zu haben. Aus Jan sprudelt es heraus.
Schon mit 5 Jahren wusste Jan, dass er kein Mädchen war. Anders als seine Zwillingsschwester hatte er keine Lust auf den ganzen „Mädchenkram“. Seine Eltern haben ihn nicht ernst genommen. „Mein Opa war mein bester Freund, er war für mich ALLES. Er hat mich als das gesehen, was ich war: Ein JUNGE.“ Das hatte mir Jan schon in seiner ersten Mail geschrieben. Von seinem Opa erzählt er auch jetzt wieder, davon, wie er als kleines Kind eines Nachmittags bei seinen Eltern im Wohnzimmer stand und verkündete: „Wenn Opa tot ist, möchte ich seine Genitalien haben.“ „Ich wollte etwas von meinem Opa, wenn er mal nicht mehr da wäre und: ich wollte im Stehen pinkeln können!“ Die ganze Situation sieht er noch vor sich, wie er da stand im Wohnzimmer, das Licht, die Einrichtung. An die Reaktion seiner Eltern aber erinnert er sich nicht mehr. „Sie werden wohl gelacht haben. Sie haben mich mit meinen Gefühlen ja nie für voll genommen.“
Dann erzählt Jan von der Trennung seiner Eltern, dem Umzug von seinem geliebten Ort auf dem Land in die Stadt. „Da ging das ganze Desaster los.“
Verzweiflung pur durchlebte Jan, als er zum ersten Mal seine Tage bekam. „Ich wollte das nicht! Schloß mich in mein Zimmer ein und ließ niemanden an mich ran.“ Als seine Schwester dann ein paar Wochen später dran war, ging sie ganz anders damit um, freute sich fast darüber. „Meine Reaktion machte mir schon Sorgen, aber die habe ich mal lieber ganz schnell verdrängt.“ Verdrängung war ein ganz wichtiger Begleiter in Jans Leben. Bis es irgendwann nicht mehr ging und alles aus ihm herausbrach.
Mit 14 verliebte Jan sich in ein Mädchen. „Ich war also „nur“ lesbisch, das war doch beruhigend. Aber ich habe mir ja immer nur Freundinnen gesucht, die heterosexuell waren.“ Das Bild war also irgendwie schief.
15 Jahre hielt die erste Beziehung. Das bedeutete 15 Jahre der Geheimhaltung, niemand durfte etwas erfahren. Was sollten die Eltern denken von einer „lesbischen“ Beziehung?! Nach dem Studium lernte seine Freundin dann einen Mann kennen und heiratete. Jan zerbrach.
„Ich habe mich immer als junger Mann gefühlt. Für meine Mutter ging ich dann auch Beziehungen mit Männern ein.“
Irgendwann brachte Jan viel Mut auf und outete sich seiner Mutter gegenüber als lesbisch. „Du bist krank, Du gehörst in Behandlung.“ Jan brach den Kontakt ab.
Eine große Stütze war und ist ihm seine Schwester. Sie versuchte auch, die Mutter an Jans Thema heranzuführen, als Jan seine OPs hinter sich hatte. „Jan geht es jetzt besser, Mama.“ „Hat sich mal jemand gefragt, wie es MIR geht?!“ war die Antwort. „Ich habe immer versucht, mir das Verhalten meiner Mutter zu erklären. aber das hilft mir ja nicht weiter. Ich hätte damals mehr Unterstützung gebraucht.“
2006 ging Jan in Therapie, um seine Kindheit aufzuarbeiten. Transidentität war auch da jahrelang noch kein Thema für Jan. Verdrängt. Mehrmaliger Therapeutenwechsel. Vier Jahre lang in Behandlung. Die Depressionen blieben. Und wurden schlimmer. Jan begann im Internet zu recherchieren. „Was ich da über Transidentität las… Tja, das stimmte alles irgendwie.“
Er fand eine Therapeutin, die mit transidenten und intersexuellen Menschen arbeitet. Sie half ihm aus dem Verdrängungskreislauf.
Jan fing an, einen Brustbinder zu tragen. „Die echten konnte ich mir nicht leisten, viel zu teuer, da habe ich mir halt von C&A was selber zusammengebastelt.“
Jan erzählt von diesen ganzen ersten Malen: Als Mann und nicht als Frau auf eine Party zu gehen, die Männertoilette zu benutzen, statt sich bei den Frauen anzustellen. „Das ist alles wahnsinnig schwierig und kostet so richtig viel Kraft.“ Aber auch die schönen Momente gibt es, zum Beispiel, wenn Jan unterschreibt und von der Kassiererin ein Lob bekommt: „Sie haben eine schöne Unterschrift für einen Mann.“
„Im Januar 2012 war die Vornamens-und Personenstandsänderung durch. Am 6.8.2012 hatte ich die OP – Brust,Entfernung der Eierstöcke und Gebärmutter, den Rest nicht, das ist mir zu gefährlich.“
Zurück in Jans Wohnung. Josy jagt eine Fliege quer durch Wohnzimmer und Flur und zurück. Und hin und her.
Vor Jan ein Becher eines Ärztekonzerts. „Das war am 11.06.2013 in Flensburg – mein allererstes Konzert! Vorher wäre ich nie auf die Idee gekommen, auf ein Konzert zu gehen. Die Karten dafür hat mir mein bester Freund Stefan zum Geburtstag geschenkt.“
Wie geht man mit der Vergangenheit um, wenn alles irgendwie schief war? „Meine Fotos von früher habe ich verbrannt. Meine Schwester und meine Nichte waren dabei. Wir werden sie an einem Ort vergraben, an dem ich als Kind gerne Zeit verbracht habe.“ Jan zeigt mir die Asche, die in einer Plastiktüte verwahrt ist.
Seine Nichte: Sie ist der Sonnenschein in Jans Leben. Sie war auch die erste, mit der er über seine Transidentität sprach. Und sie hat seiner Schwester geholfen das Ganze zu verstehen. Als ich die Babyschuhe an der Tür im Flur hängen sehe, kann ich mir schon denken, wer darin einmal seine ersten Schritte gemacht hat. „Ja, die sind von meiner Nichte. Die durfte ich haben.“
„Meine Schwester und meine Nichte und Josy: die haben mir geholfen, in mein richtiges Leben zu finden. Meine Schwester hat mich immer gestärkt. Seit ich ICH bin, kann ich endlich auch für sie da sein, ICH darf stark sein. Es ist ein tolles Gefühl, der große Bruder zu sein.“
Und dann Josy, die immer um ihn rum war und ist und die selber traurig war und nicht mehr fraß, als es Jan ganz besonders schlecht ging. Vor seinem Outing und danach. Sie begleitete Jan durch seinen Anfang in Friedrichstadt bis heute.
Schon als Frau lebte Jan viele Jahre in Friedrichstadt und immer in der selben Wohnung. An seinem 40. Geburtstag lud er alle Nachbarn zu sich ein, um mit ihnen zu feiern – und um ihnen zu erzählen, dass er ab sofort Jan heiße. Die meisten freuten sich mit ihm. Einer von ihnen aber machte Jan danach zweieinhalb Jahre lang das Leben zur Hölle. Pöbelte ihn an, wann immer sie sich im Flur begegneten, drohte ihm mit Schlägen, zerstach ihm die Fahrradreifen. Bald hatte Jan Angst, vor die Tür zu gehen; horchte immer erst, ob sein Nachbar Zuhause sei, bevor er die Wohnung verließ. Die Depressionen schlugen wieder zu. Vor zwei Monaten zog der Nachbar aus – und Jan kann wieder atmen.
Friedrichstadt sollte seine Heimat sein. Als er hierher zog, wollte er für immer da bleiben. „Ich wollte endlich irgendwo angekommen sein.“ Aber Friedrichstadt ist zu klein für seine Geschichte.
„Ich muss raus aus dieser Intoleranz, die mir aus den Gesichtern entgegenschlägt.“ Ein Umzug steht an, sobald Jan dort, wo er hinmöchte, einen Job gefunden hat. Er möchte wieder als Gärtner arbeiten, in dem Beruf, den er gelernt hat.Wenn er diesen Schritt geschafft hat, möchte er einen weiteren gehen und zum Buddhismus konvertieren. „Der Buddhismus strahlt so viel Ruhe aus. Er verkörpert die innere Zufriedenheit, die ich jetzt auch in mir trage.“
Zum Abschied schenkt Jan mir noch ein paar schöne Sätze: „Ich stehe voll und ganz hinter Deinem Projekt. Ich bin so sicher, dass wir damit etwas für uns TS bewegen können.“ Danke, lieber Jan.
Ich danke dir für dieses Fotoprojekt. Du hilfst vielen Menschen damit und zeigst, dass wir nicht allein sind damit 🙂
Bitte bitte weiter so
Grüße
Joé
Es ist ganz toll, dass hier ausführliche ungeschminkte und ehrliche Geschichten zu lesen sind – fern aller Euphorie, die manchmal ja so trans*-eigen ist. Schön auch, auf bekannte Gesichter zu stossen (danke XENIA) und hoffentlich kommen noch viel weitere Beiträge dazu!
LG Esther
Dieses Projekt ist wunderbar und so vielseitig. Ich lese die Geschichten sehr gerne und kann richtig mitfiebern, mit leiden und mich mit freuen, wenn ich lese, an welchem Punkt im „neuen“ Leben die jeweilige Person angekommen ist.
Jans Geschichte hat mich besonders berührt, weil ich es so schlimm fand, dass ein Fremder/ Nachbar einem das Leben so zur Hölle machen kann. Ich glaube, ich wäre umgezogen und hätte die Drohungen nicht durch gestanden. Ganz schön stark, auch diese Hürde zu meistern.
Hallo ihr Lieben,
ICH bins – die XENIA aus Kathrins coolem Fotoblog!!! 😉 *GRIIIIINS*
Ich finde es sehr, sehr schön, dass jeder Mensch die Möglichkeit besitzt, zu diesen Seiten Stellung zu nehmen. Und freue mich – ganz genau wie Esther – ebenso darüber, innerhalb von „Max ist Marie“ mir vertraute Gesichter zu sehen. 🙂 SO, wie sie SIND. 🙂
Wenn ihr übrigens erfahren möchtet, wo ihr meine Musik des „Non Drugger Techno“s finden und anhören könnt, möchte ich euch nachträglich noch ein wenig auf die Sprünge helfen. Denn das Interview mit Kathrin weist lediglich darauf hin, DASS ich etwas mache; sagt aber nicht klar, WO ihr das auch FINDEN könnt. 🙂
Ihr könnt mich rund um die Uhr über SoundCloud genießen. Und anhören: https//soundcloud.com/xeniabruehl !!! 😉 *GRINS*
Des weiteren führe ich eine Facebook-Gruppe mit dem Titel „NON DRUGGER TECHNO – THE SOUND OF BERLIN“, über die ihr zusätzlich zu den neueren Non Drugger Techno-Titeln auch noch „Xenia Classics“ aus den Jahren 2006 bis 2008 hören könnt: https://www.facebook.com/groups/1437079086510494/ . 🙂
Zu dieser geschlossenen Gruppe ist allerdings eine Beitrittsanfrage notwendig, die ich selbst bestätigen muss. 🙂
Meine ganz persönliche Technomusik, die ohne Drogen auskommen will – und sich für eine bessere Welt einsetzt – enthält unterschiedlichste musikalische Einflüsse. Sie ist zudem ein bisschen langsamer als ihr großes Vorbild „Oldskool-Techno“ von Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre. 🙂 Diese Langsamkeit ist absichtlich gewollt, weil ich mit dieser Musik nämlich auch anderweitig neue Akzente setzen möchte. 🙂
Ich habe keine Lust, etwas zu produzieren, das unsere Welt noch schneller macht. Sie ist inzwischen schnell genug – und die Menschen sehnen sich verstärkt wieder nach Langsamkeit. Weil sie die Schnauze voll davon haben, dass alles nur noch schneller wird. Und erkennen müssen, dass sie selbst bei diesem Tempo nicht mehr mithalten können. Nicht schnell genug sind – und auf der Strecke bleiben… :………-(
ABER: AUCH DIESE MENSCHEN haben ein Recht auf PARTY!!! 😉 *GRINS*
Mit Hilfe meines „Non Drugger Techno“s kann ich euch beweisen, dass auch etwas langsamere Musik, die nicht die Schnelligkeit eines Oldskool-Technos besitzt, einerseits problemlos tanzbar ist. 🙂 Andererseits aber auch verstärkter unter die Haut geht. 🙂 In uns selbst ein warmes Gefühl von Liebe, Heimat, Geborgenheit oder neu gefundenem Antrieb hinterlässt. 🙂
Diese Musik berührt unsere Seele. Sie macht uns innerlich gesund und stark – und ertüchtigt uns dazu, im Anschluss an ihr Anhören selbstständig aktiv zu werden. 🙂
Durch ihre hohe Qualität können wir es schaffen, genügend Energie zu sammeln, um selbst qualitativ zu handeln. Und DADURCH unseren Planeten SOZIALER zu gestalten. 🙂 Ihn IM POSITIVEN Sinne zu entwickeln – und RUNDUM zu ERNEUERN. 🙂
MENSCHLICHER zu machen. 🙂
LET’S MANAGE THAT TOGETHER!!! WITH MUSIC!!! 😀 *GRIIIIINS*
Ganz liebe Grüße,
Eure Xenia auf den Fotos B-)