Mainz, im Juli 2014
Als ich ankomme, führen wir erstmal ein Gespräch unter Experten über „Planes“ und „Cars“. Im Hintergrund steht sein kleiner Bruder und sieht mich mit schönen braunen Knopfaugen kritisch an. „Er wird mal ein Frauenheld“, lacht Susan. Susan ist Astas Frau. Die beiden Jungs, 5 und 2 Jahre alt, sind ihre gemeinsamen Söhne. Die zwei haben seit ein paar Monaten zwei Mamas.
Von Heidelberg bin ich am Mittag Richtung Mainz gefahren, um die kleine Familie zu besuchen. Eine Fahrt durch Weinberge. Ein heißer Sommertag. Jetzt kündigt sich Gewitter an. Der Himmel ist dunkel, noch regnet es nicht. Schnell noch einen Spaziergang machen. „Mama, die Hühner besuchen!“ Die Jungs schnappen sich ihre Laufräder.
Wir laufen durch den Ort und kommen auf Feldwege. Der Blick geht über Hügel, mit Kornfeldern überzogen. „Die Landschaft finde ich eigentlich ziemlich langweilig. Besonders im Winter, wenn man nur auf kahle Flächen schaut. Ich bin im Odenwald aufgewachsen. Mir fehlen die Wälder.“ Asta hat Sehnsucht nach Bewegung in der Landschaft. Sie und Susan wollen trotzdem hier bleiben, in der Dorfgemeinschaft fühlen sie sich wohl. Gerne möchten sie ein Haus im Ort kaufen. „Aber das hier ist Einzugsgebiet Frankfurt. Es ist sehr schwer etwas zu finden.“
Die Hühner: Bullerbü-Kinder-Idylle.
Nun fängt es doch an an zu regnen. Schnell zurück zur Wohnung. Der Kleine kann nicht so schnell, er will und darf auf Mamas Arm.
Asta rettet noch „Die Zeit“ aus dem Briefkasten. Gemeinsam lachen wir darüber, dass wir uns jeden Donnerstag über die neue Ausgabe freuen, bis zum nächsten Donnerstag dann aber doch wieder nur einen Artikel gelesen haben. Es gibt einfach viel zu viel zu tun im Leben. Für Asta und Susan jetzt sowieso.
Asta muss noch einem Kollegen bei einem Problem helfen, dann setzen wir uns an den Esstisch. Ein Stapel Zeitschriften und Zeitungen liegt neben Kindersets. Der Kleine verschwindet recht schnell in seinem Zimmer. Sein Bruder setzt sich noch einen Moment zu uns, dann wird auch ihm unser Gespräch langweilig.
Asta redet schnell, so schnell, dass ich mit dem Schreiben kaum mitkomme. Es gibt soviel zu erzählen.
„Schon als Kind wusste ich, dass ich anders bin. In der Pubertät wurde das etwas diffuse unklare Gefühl aus der Kindheit ganz deutlich: Ich war ein Mädchen bzw. Frau. Ich wusste, dass ich meinem Umfeld irgendwann davon erzählen würde.“ Der Leidensdruck musste nur groß genug werden.
Im Mai 2013 ist Asta zusammen mit einem Kollegen unterwegs zu einem Kongress in Monaco. Der Flieger hat Verspätung. Zeit für Unterhaltungen. Der Kollege erzählt, dass es ihm seit einiger Zeit sehr schlecht geht. Niedergeschlagen, antriebslos. Schuld sei die familiäre und berufliche Situation. Asta erkennt sich in dem, was er schildert, wieder. Diese Niedergeschlagenheit, diese Antriebslosigkeit: Bei Asta lag der Grund dafür weder im Beruf noch in der Familie.
„Mir wurde plötzlich ganz klar, dass ich etwas unternehmen musste. Dringend. Sonst würde ich noch weiter abrutschen. Ich wusste ja genau, woher das alles bei mir kam. Und nur ich hatte es in der Hand, etwas zu ändern.“
Ab dem Moment ging es nicht mehr anders.
Am Abend des Tages, an dem sie von der Geschäftsreise nachhause kommt, sitzen sie und Susan nebeneinander auf dem Sofa. Sie schauen einen Film. „Wir sind beide Fans guter Filme. Und ich weiß noch genau, welcher es an dem Abend war: Hugo Cabret von Martin Scorsese.“ Susan sagt, sie habe sich sehr gewundert, dass ihr Mann so gar nicht bei der Sache war. „Sie nahm die Geschichte gar nicht wahr.“ Susan spricht Asta an. „Was ist los?“
Asta wird ganz still. „Ich muss Dir etwas sagen.“ „Als Asta mir alles erzählt hatte, war ich fast erleichtert. Ich dachte, da wäre sonst was.“
„Sie hat mich in den Arm genommen und diese Umarmung hält bis heute“, hatte Asta mir in ihrer ersten Mail geschrieben. Ein Satz, der mich sehr berührt hat.
Wie groß das Thema tatsächlich ist, wurde Susan erst klar, als Asta eine Woche später von Hormontherapie sprach. „Wie ist das? Kann das funktionieren?“, fragte sich Susan.
„Das alles wusste ich ja noch gar nicht. Ich konnte und wollte das nicht von einem auf den anderen Tag entscheiden.“ „Jetzt fühlt es sich immer mehr an, als könne es funktionieren, oder?“, wirft Asta ein. Ein liebevolles Lächeln als Antwort.
Schnell drängte sich das Praktische in den Vordergrund: Wer musste zuerst davon erfahren? Und wie? Gemeinsam planten Asta und Susan die nächsten Schritte.
„Ich stand nicht auf einmal als Frau auf der Straße, sondern bin ganz behutsam vorgegangen. Das habe ich auch für Susan gemacht, sie sollte sich langsam daran gewöhnen können.“ Im Bekanntenkreis „legten wir Spuren“. Jede Woche kam eine neue weibliche Kleinigkeit hinzu. „Das mit dem Fußkettchen war Susans Idee.“
Ihr Umfeld sollte nicht einfach nur wissen, sondern auch verstehen. „Menschen können nur das akzeptieren, was sie kennen. Deshalb ist Aufklärung so wichtig.“ Susan und Asta kauften mehrere Exemplare des Buches von Udo Rauchfleisch: „ Transidentität/Transsexualität: Anne wird Tom – Klaus wird Lara.“ und verschenkten es an Verwandte und Freunde. „Es gibt ja kaum Stellen, an die Angehörige sich mit ihren Fragen wenden können.“ Das Buch beantwortet viele davon.
Der schwerste Schritt war das Einweihen der Kinder. „Mit unserem Großen habe ich ganz viel geredet. Habe ihm erzählt, dass ich häufig sehr traurig war und dass es mir jetzt gut geht. Dass ich immer für ihn da sein werde. Er hatte dennoch Angst seinen Papa zu verlieren.“ Susan steht neben uns, sie kommt gerade aus der Küche, wo sie den Jungs etwas zu essen vorbereitet. Sie meint: „Es fühlt sich ja tatsächlich so an, als wenn jemand plötzlich weg wäre.“
Jetzt, ein paar Monate später, ist es für die Kinder ganz normal Mama Susan und Mama Asta zu haben..
Hänseleien durch die anderen Kinder in der KiTa gab es nicht. Ein Grund dafür ist sicherlich die Offenheit der Erzieherinnen. „Sie haben wirklich ganz toll reagiert. Ihre Antwort auf mein Frausein war: „So wird das Leben bunter.“
Für die älteren Kinder im Hort der KiTa haben die Erzieherinnen einen Nachmittag organisiert, bei dem Asta mit den Kindern zusammen saß und ihnen ihre Fragen beantwortete. Ein Junge erzählt von einem Klassenkameraden seines Bruders, der lieber mit Mädchen spiele. Ob der wohl auch lieber ein Mädchen wäre? „Man kann das niemals wissen“, ist Astas Antwort.
„Ja, ich habe zwei Kinder. Zwei Jungs, so scheint es zumindest bisher, denn ich kann ja aus eigener Erfahrung sagen, das kann täuschen.“ Noch so ein Satz aus Astas erster Mail an mich.
„Sag mal, möchtest Du einen Kaffee?“, fragt Asta. „Ich bin passionierte Kaffeetrinkerin.“ Für ihren Cousin hat Asta die Website seiner mobilen Kaffeebar, gestaltet. Als Dank schenkte er ihr eine restaurierte Espressomaschine. Heute ist der Cousin Zahnarzt, die Espressomaschine funktioniert noch immer.“ Seitdem geht der Brühkaffee aus der Firma gar nicht mehr,“ lacht sie.
Mediendesign hat Asta studiert, Susan Kommunikationsdesign. „Du sitzt hier in einem Kreativ-Haushalt.“
2006 machte Asta ihr Diplom. Noch in der Diplomzeit produzierte sie einen weiteren Film, neben ihrem eigenen Diplomfilm es folgte ein halbes Jahr Neuseelandaufenthalt. Damals waren Asta und Susan schon ein Paar.
2007 gründete Asta zusammen mit einem Freund die Firma crosscut.Media. Kurz danach der Umzug in die Wohnung, in der sie auch jetzt noch leben.
„Meine Taktik war, immer Neues auszuprobieren. Nur kein Stillstand. Immer was zu tun. Schon während des Abis war ich bei einer Firma, die als eine der ersten in Deutschland 3D-Animationen produzierte. Mit 18 war ich zum ersten Mal selbständig.“ Sport machte sie nicht einfach nur. Asta trainierte auf Leistung: Triathlon auf Liga-Level. Sechs Tage die Woche Training, jeweils drei Stunden. „Das ließ wenigstens keine Zeit zum Nachdenken.“
„Es war viel Angst in mir vor meinem Outing. Was, wenn ich nicht mehr wegrennen kann? Werde ich dann noch so kreativ sein können, wie ich es jetzt bin? Es ist anders gekommen, als ich dachte: Ich habe jetzt eine ganz andere Motivation. Die elende Gedankenmühle ist weg. Es ist viel mehr Platz im Kopf für neue Ideen.“
Dabei saß Asta schon mit Mitte 20 beim Therapeuten. „Da bin ich leider an eine völlig falsche Stelle geraten. In der sexual-therapeutischen Ambulanz in Frankfurt – die gibt es heute gar nicht mehr – fragte mich der Therapeut in der zweiten Sitzung: „Warum sind sie nochmal da?““ Wechsel zu einem Therapeuten in Mainz. „Als ich dem von meinem Gefühl erzählte, im falschen Körper geboren worden zu sein, fragte er mich aus wegen Missbrauch im Kindesalter!“
„Der Erkenntnisprozess dauerte bei mir lange. Das war ja noch fernab der Interzeiten. Ich hatte keine Möglichkeit irgendwo etwas nachzulesen.“ Mit 18 Jahren hörte Asta zum ersten Mal eine Sendung über Transexualität. „Einerseits passte das, was beschrieben wurde, genau auf mich. Andererseits wurde so darüber berichtet, dass ich nichts damit zu tun haben wollte. Die vorgestellten Menschen hatten alle ihre Familien über ihr Coming-Out verloren. Alle waren Sozialempfänger.“
Asta fühlte sich verloren, sie wusste nicht, an wen sie sich wenden sollte. „Als ich dann vor ein paar Monaten mein Coming Out bei meinen Eltern hatte, war die erste Frage meines Vaters: „Hast Du schon einen Therapeuten?“ Astas Vater arbeitete bei einer Krankenkasse. Nun stellte sich heraus, dass er dort schon in den 80ern mit dem Thema Transsexualität betraut war. „Ist das nicht verrückt?! Da laufe ich jahrelang verloren durch die Gegend und fühle mich allein – und dann das!“
Susans Eltern? „Als sie uns zum ersten Mal im neuen Leben besuchen kamen, hatte ich überlegt, ob ich Asta bitten soll, den BH auszuziehen. Mein Therapeut hat gesagt: „Man kann niemanden vor Veränderungen schützen.“ Und so ist es ja auch. Sie sollten ruhig gleich wissen, was los ist. Leicht war und ist es nicht für sie.“
Susan und Asta sitzen mir gegenüber. Ein schönes Miteinander haben sie. Beim Reden sehen sie sich in die Augen. Immer wieder anerkennende Gesten, ein Streicheln. Viel Achtung vor dem anderen ist da zu spüren. „Unsere Beziehung ist durch die vielen Gespräche wieder sehr intensiv geworden“, sagt Susan.
Das Leid, das Asta bis vor kurzem durchleben musste, habe ich gar nicht als so intensiv mitbekommen. Klar, ich spürte, da ist etwas. Aber ich wusste ja nicht was es ist.“
Als Susan zum ersten mal schwanger wurde, waren sie beide glücklich.
Das Leben wurde ruhiger, im Beruf pendelte sich alles ein und auch der Alltag mit Kind wurde Routine. Auf einmal gab es das, was Asta niemals wollte: Zeit zum Nachdenken.
Es kam die zweite Schwangerschaft: In dieser Schwangerschaft durchlitt Asta große einsame Qualen. „Ich war so eifersüchtig. ICH sollte doch schwanger sein. Es war mir natürlich klar, dass das körperlich nicht möglich war, aber das Gefühl in mir war so stark!“
Eine Qual, von der sie ihrer Frau nicht erzählen konnte. Heute können Asta und Susan über alles reden. Über ihre Gefühle damals und ihre Ängste heute.
Seit Asta ihr Leben als Frau lebt, hat sie von weiteren transidenten Menschen im Bekanntenkreis der Eltern erfahren:
Drei transidente Menschen in einem Dorf im Odenwald mit nur 2100 Einwohnern. „Eine Frau hatte Ihr Coming Out nach mir. Sie sagte mir später, sie habe diesen Schritt deshalb zu gehen gewagt, weil schon jemand voran gegangen war. Ich hätte ihr den Weg geebnet. Wir sind zu wenig sichtbar. Es ist so wichtig, Vorbilder zu haben!“
Deshalb ist Asta bei diesem Projekt dabei. Und deshalb engagiert sie sich in der Jugendarbeit. „Jeder soll wissen: Du bist nicht allein.“
Viele Menschen haben Asta nach ihrem Outing zu ihrem Mut beglückwünscht. „It’s like running through the woods being chased by a bear, and then you finally get inside this cabin and you slam the door behind you and someone says, ‘Wow, you’re really brave,’ but you’re like, ‘I was running for my life back there!’” Diese Worte der Lead Sängerin der Punk-Band Against Me! zitiert Asta jetzt. Das Outing: Eine Notwendigkeit, um überleben zu könne.
Der Lead-Sänger der Band, Tom Gabel, gab im Mai 2012 bekannt, ab sofort als Laura Jane Grace leben zu wollen. „Getroffen habe ich Laura im Juni 2014. Wir hatten ein Konzert von Against Me! besucht. Nach dem Konzert unterhielten wir uns mit der Merchandising-Verkäuferin und sie fragte uns, ob wir noch etwas da sind, weil Laura sich immer wieder gerne mit anderen Trans*-Betroffenen trifft. Wir haben dann später hinter der Veranstaltungshalle zusammengesessen und geredet. Ganz locker.“
„Sie hatten gerade ein neues Album rausgebracht. Das Thema ist Transidentität. Erst heute erkenne ich, dass schon früher ganz viele Texte von anderen Alben in diese Richtung gingen. Damals hielt ich es eben einfach für Songtexte.“
Nun ist Asta auf ihrem Weg. Sie ist nicht allein. Mit kleinen und großen Schritten richtet sich die kleine Familie in ihrem neuen Leben ein. Letzte Woche begleitete Asta ihre Kinder zum ersten Mal zum Schwimmkurs. „Im Sportbikini. Ich war sehr aufgeregt. Aber es hat soviel Spaß gemacht. Und niemand hat komisch geguckt.“
Es ist viel später geworden als geplant, die Jungs müssen ins Bett.
Asta und ich stehen schon vor der Tür, als sie sagt: „In den letzten zehn Jahren bin ich anders mit mir umgegangen, habe meinen Körper vorsichtiger behandelt, nicht mehr ausgebeutet. Bloß nicht zu schnell altern. Ich habe ja noch etwas vor.“ Asta lacht wieder. „Wenn ich morgens verpennt in den Spiegel schaue, sehe ich mich als Frau. Das ist sehr schön.“
Danke, ihr vier, dass ich Euch kennenlernen durfte!
Vielen vielen Dank nochmal für die tollen Bilder. Und es ist schön, dich kennen gelernt zu haben. Danke für das tolle Projekt. Sichtbarkeit ist wichtig.
Liebe Grüße
Asta
Hallo, ich habe das Gefühl, dass in den Texten zwischen den Bildern direkt aus meinem Leben erzählt wird. Asta ist eine unheimlich tolle Frau und die Geschichte gibt mir Hoffnung und ein mögliches Bild meiner eigenen Zukunft.
Danke dafür. Ich würde gerne wissen wie es euch mittlerweile geht, da ich mein Outing vor meiner Famile noch vor mir habe.
Liebe Grüße
Alex