Dieses Jahr war es endlich soweit: Meine Tochter bekam ihre geschlechtsangleichende OP. Ein Riesenschritt.
Am Abend vor der Operation schrieb sie: „Morgen ist der Tag, auf den ich sechs Jahre gewartet habe. Endlich fängt mein Leben an.“
Sätze, die mich als Mutter sehr bewegten. Und es noch immer tun.
Maries OP war erfolgreich, es wird eine Korrektur-OP geben, das ist nicht außergewöhnlich.
In allem aber gab es Erlebnisse, die uns glauben ließen, einem System ausgeliefert zu sein, das sich Gesundheitssystem nennt und in dem Dinge passieren, die die Seele krank machen können.
Ein System, in dem der Mensch – Patient und Arzt – unter die Räder zu kommen scheint.
Ich hatte Fragen; ich wollte die Sicht einer Ärztin kennenlernen, die in diesem System unterwegs ist.
Wenige Wochen nach der OP war ich deshalb wieder unterwegs ins UKE. Diesmal nicht, um meine Tochter zu besuchen, sondern um die Ärztin, zu treffen, die die OP an meiner Tochter durchführte:
Frau Dr. Riechardt, Oberärztin für Urologie am UKE in Hamburg ist Spezialistin im Bereich geschlechtsangleichender Operationen für transidente Frauen.
Für Max ist Marie durfte ich sie interviewen.
Eine energiegeladene schlanke Frau erwartet mich in ihrem Büro. An den Wänden hängen drei Fotos. Sie zeigen den Menschen hinter der Ärztin, als Mutter mit ihren Kindern.
„Ich bin gespannt auf unser Gespräch. Ein Interview gibt man ja nun nicht täglich.“, lächelt sie.
Auch ich war gespannt auf diese Frau, die ich bisher nur aus Mails kannte und die ein Wunder an meiner Tochter vollbracht hat.
Wie kommt man als Ärztin dazu, sich auf geschlechtsangleichende Operationen zu spezialisieren?
„Dass ich heute hier am UKE diese Operationen durchführe, kam zu mir. Dieses Thema hat mich gefunden. Ich war schon immer ein Mensch, der helfen wollte. Das kann ich nun in ganz besonderem Maße. Außerdem schlägt Herz für Exoten. Transidente Menschen faszinieren mich. Ich empfinde allerhöchsten Respekt und Bewunderung für sie. Sie gehen das Risiko ein, alles zu verlieren und dennoch verfolgen Sie Ihren Weg, weil es keinen anderen gibt. Jeder Arzt hat „seine“ Patientengruppe. Für mich ist es diese!“
Genitalchirurgie war bereits vorher ihr Spezialgebiet. Seit Jahren operiert sie Kinder, die mit genitalen Fehlbildungen zur Welt kommen.
Als vor einigen Jahren in Hamburg eine Arbeitsgruppe zum Thema Geschlechtsangleichende Operationen gebildet wurde, wurde sie durch Zufall Teil dieser Arbeitsgruppe; sie arbeitete sich in das Gebiet ein und spürte: „Das ist etwas, was ich machen möchte!“
Seit 2014 ist Frau Doktor Riechardt eine von wenigen Ärzten, die sich in diesem Bereich in Deutschland einen guten Ruf erarbeitet haben. Dank Facebook erfährt die Community schnell, wenn irgendwo ein Fehler passiert ist. Wenn eine Ärztin diese Operationen ganz besonders gewissenhaft durchführt, verbreitet sich auch das wie ein Lauffeuer.
Das Thema Transidentität fasst sie sehr respektvoll zusammen: „Es geht hier nur um eine Genitalfehlbildung, und die lässt sich beheben! Nicht der Mensch ist falsch!“
80 transidente Patienten kamen im Jahr 2017 zu ihr, um sich operieren zu lassen.
„Ich führe eine riesige OP am körperlich gesunden Menschen durch. Es ist schwer zu tolerieren, dass etwas schief geht. Ich bin mir meiner großen Verantwortung sehr bewusst.“
Was sie im Vorfeld nicht wissen kann: Wie reagiert die Psyche nach der OP auf diesen Eingriff?
„Diese Operation ist bei transidenten Menschen sehr idealisiert. Es soll alles wie von Zauberhand passieren. Ich versuche das in den vorbereitenden Gesprächen abzufedern und klarzumachen, dass der Weg bis zur völligen Gesundung lang, hart und anstrengend ist.“ Das ist alles was sie tun kann. Die psychologische Betreuung liegt nicht in ihren Händen, weder vor, noch nach der OP.
„Es ist ganz klar: Der Druck, dem transidente Menschen in den der Operation vorangegangenen Jahren ausgesetzt sind, kommt nach der OP raus. Bei manchen macht sich, wenn die OP erstmal geschafft ist, völlige Überforderung Platz.“
Nach der Operation sind zwei Besuche durch den auf dem Gelände des UKE ansässigen Psychologen vorgesehen. Nicht immer kommt es dazu. Warum? Da müsse ich in der Psychologischen Abteilung nachfragen.
Immerhin: bevor die Abteilung für Geschlechtsangleichende Operationen 2014 eröffnet wurde, erhielt das Pflegepersonal ein halbes Jahr lang eine Spezialschulung im Umgang mit transidenten Patienten.
Dabei ging es nicht nur um diejenigen Menschen, die sich nach der OP in einer besonders labilen psychologischen Lage befinden: „Ganz allgemein gesprochen, ist bei Transgender Menschen eine gewisse Ichbezogenheit die Regel. Die Patienten sind unter Umständen sehr egozentrisch. Das ist einfach Teil des Prozesses. Mit den teilweise ungewöhnlichen Situationen muss man als Pfleger oder Pflegerin zurechtkommen.“
Und wie sieht es mit der Gesamtversorgung der Patientin aus? Wer kümmert sich danach um den Menschen? „Schon vor Gründung der Abteilung verfolgten wir in der Arbeitsgruppe die Idee eines Versorgungskonzeptes. Es trafen sich Gynäkologen, Endikronologen, Psychologen, Chirurgen, plastische Chirurgie, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Dermatologen des Klinikums. Daraus entstand das Transgender Versorgungszentrum Hamburg.
Auch ambulante Versorger werden eingeladen. Daraus bildete sich der Qualitätszirkel „Interdisziplinäre Behandlung der Geschlechtsdysphorie“, der sich einmal im Quartal trifft. Ein Blick von außen ist ja niemals schlecht.“ Eine gute Idee. Allerdings hatte ich davon noch nicht gehört. Wissen die Patienten davon? Wie kommt die Information, die hier erarbeitet wird, zu den Menschen, die sie brauchen? „Das ist eine gute Frage. Ich werde mich informieren.“ *
Viel guter Wille, viel Engagement! Wie empfindet sie als Ärztin das, was in unserem Gesundheitssystem passiert? Hat sie genügend Zeit für den Menschen hinter dem Patienten? „Wir haben eine starke Arbeitsverdichtung. Über die Verrichtung unserer Aufgaben hinaus kann wenig mehr stattfinden. Wir arbeiten wie in einem Hamsterrad. Kaum einer erkennt noch, dass wir nur Gutes tun wollen.“
Und doch ist sie noch immer mit Leib und Seele Ärztin. Ihr Antreiber ist es, Menschen glücklich zu machen.
Da tun Situationen wie diese gut: „Vor kurzem kam eine sehr junge transidente Frau zu mir in die Nachsorge. Sie war gerade mal 18. Wenn mit der Hormongabe so frühzeitig begonnen wird, sieht man ja auch im Äußerlichen überhaupt nichts mehr. Als ich sie fragte, wie es ihr denn jetzt, einige Monate nach der OP, gehe, meinte sie, sie genieße ihr Sexleben und habe jetzt erstmal wechselnde Beziehungen. Und? „Hat es irgendjemand gemerkt“, fragte ich sie? „Nein, überhaupt keiner!“, war Ihre Antwort.
Das sind die Momente, in denen ich sehr glücklich bin mit meinem Beruf.“
So viel Engagement und Respekt vor den Patientinnen von einer Ärztin, die in einem System arbeitet, in dem man auch mal Grund zum Aufgeben hätte!
Danke, Frau Dr. Riechardt, für das Gespräch.
Wie waren Maries und unsere Erfahrungen mit der OP und der Zeit danach? Darüber werden wir in einem separaten Blog-Post berichten.
*Nachtrag: In unserem Gespräch hatte Frau Dr. Riechardt versprochen, sich zu erkundigen, wie die für transidente Patientinnen wichtigen Informationen, die aufbereitet und verfügbar gemacht werden. Ihre Antwort kam etwas später per Mail: „Die Infos zum Versorgungszentrum übers Internet werden gerade optimiert, das dauert im UKE immer ein bisschen…“
Diese wertvolle Frau möchte ich unbedingt kennenlernen!
Liebe Kathrin,
Vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag und das Interview. Ich finde es sehr spannend, auch einmal die Sicht einer Ärztin auf diese Thematik zu lesen und ein wenig mehr über den ‚Klinik-Alltag‘ bzw. das Vorgehen mit einer umfassenden Behandlung zu erfahren. Großes Lob an so engagierte Fachkräfte, die mit Leib und Seele ihrer Berufung nachgehen.
Liebe Grüße aus Köln
Nika