Zürich im September 2015
Als Steffi mich vor einigen Woche kontaktierte, hatte sie eigentlich gar nicht vor, sich porträtieren zu lassen.
„Liebe Kathrin, ich finde dein Projekt unglaublich schön und ich würde dich gerne unterstützen. Du musst ja bestimmt reisen, um die Portraits zu machen. Kann ich dich bei den Reisekosten etwas unterstützen?“ so hatte sie mir geschrieben.
Wie schön, ein solches Angebot zu bekommen, wenn man ein Projekt aus eigener Tasche.
Aus dem Angebot wurde eine Reise nach Zürich und ein Besuch bei Steffi. „Ich kann dir sogar eine kleine Führung durch Zürich geben. Mittlerweile kenne ich meine Liebslingsstadt gut.“
„Irgendwie auch schade, dass ich Zürich so früh entdeckt habe. Jetzt will ich hier nämlich nicht mehr weg“, sagt Steffi jetzt, als sie neben mir auf einer Mauer mit Blick über die Stadt sitzt.
Steffi. Weltenbummlerin. Steffi. Groß, schlank, immer ein Lachen im Gesicht.
Ursprünglich kommt sie aus Düsseldorf. „Nein, ehrlich gesagt nicht Düsseldorf. Aus einem Dorf bei Düsseldorf. Eigentlich bin ich voll das Landei.“
Steffi erzählt mir über die Gebäude, die wir in der Ferne sehen. „Das ist wirklich meine Stadt hier.“
Nachdem Steffi ihre Bachelorarbeit in Informatik bei Siemens in New Jersey geschrieben hatte, ging sie für Ihr Master-Studium nach Liechtenstein.
„An einem Wochenende machte ich einen Ausflug nach Zürich. Ich lief durch diese Stadt und wusste:
„Hier möchte ich einmal leben.“
Vor 6 Jahren wurde ihr Traum Wirklichkeit.
„Mein Ex-Chef meinte mal, die Schweiz sei das einzige Land, das jeden Morgen nass gewischt wird. Diese Vorstellung gefällt mir.“
Steffi mag auch die Menschen hier sehr.
„Ich bin glücklich hier. Viele tolle Freunde habe ich gefunden. Die meisten sind Schweizer.“
Mit ihrer Transition hat Steffi hier begonnen; die Schweiz sei das optimal Land dafür:
„Vor zwei Tagen und drei Jahren habe ich gestartet. Ich glaube für mich ist das hier viel einfacher als in Deutschland. Hier gucken nur vereinzelte Menschen doof. Die meisten haben zu viel Anstand um sich etwas anmerken zu lassen. Das habe ich in Deutschland anders erlebt.“
Dass Steffi sich in Zürich angekommen fühlt, heißt aber nicht, dass sie nicht weiterhin die Welt bereisen möchte.
Seit ein paar Tagen erst ist sie zurück aus dem Urlaub.
„Ich wollte in eine Stadt mit garantierter Wärme, Sonne, Mittelmeer. Und ein Land, in das ich alleine reisen kann.“
Ein Land, in dem ihr Trans-sein kein Problem ist: „Ein Land, in dem mir keiner auf die Fresse haut“, wie Steffi sagt.
In Israel fand sie noch mehr Toleranz als in Zürich. „Ich war nur in Tel Aviv. Rumreisen wäre mir zu gefährlich gewesen. In der ersten Woche war ich noch im Tourimodus. Habe nur am Strand gelegen. Herrlich. Richtig braun bin ich geworden.“
Steffi hält inne. „Also… für meine Verhältnisse.“ Da ist es wieder: dieses ansteckende Steffi-Lachen.
Neue Städte erkundet Steffi, indem sie sie sich erläuft.
„Einfach loslaufen. Dann an irgendeiner Stelle, die mir gefällt, TripAdvisor anmachen und schauen, wo mich das so hinführt. Auf diese Weise habe ich zum Beispiel die tollsten Restaurants entdeckt.“
Ebenso wie Kopenhagen, wo Steffi vor einiger Zeit war und das ihr sehr gut gefiel, weil es „so schön bunt ist“, hat sie sich auch Zürich erlaufen, als sie, schon dort lebend, ein paar Wochen Urlaub hatte.
„Ganz ohne Plan bin ich losgegangen. Erst durch die Touristengassen. Später habe ich die äußeren Stadtbezirke für mich entdeckt. Gern mag ich den Kreis 4. Hier ist auch eines meiner Lieblingscafes.“
Dorthin möchte Steffi mit mir. Aber es hat geschlossen. Heute ist Feiertag in Zürich, Knabenschiessen, ein großes Volksfest in der Stadt.
Kein Problem, dann eben in ein anderes Lieblingscafe, es gibt genügend davon.
„Dieses hier ist schicker. Nachher zeige ich dir noch eines, das ein bisschen alternativer ist; beide mag ich sehr gerne.“
In dem Café, in dem wir jetzt sitzen, essen die Zürcher zu Mittag, laut ist es und voll. Steffi stört das nicht.
Wir setzen uns an einen Tisch zu einer Dame, die in ein Telefonat vertieft ist.
Jetzt erzählt sie weiter von ihren spannenden Reisen: Düsseldorf, New Jersey, Liechtenstein, Kopenhagen, Tel Aviv, Zürich, Barcelona, Stockholm. Vor kurzem: Heidelberg.
„Bei einer meiner Flugreisen hatte ich einen Mann kennengelernt. Zweimal waren wir zusammen aus. Das war sehr nett. Er hatte meine Videos auf meiner Seite gefunden. Er wusste also, was los war und es war scheinbar überhaupt kein Problem für ihn. Dann schlug er ein Treffen in Heidelberg vor. Ich fuhr für ein Wochenende mit der Bahn dorthin. Wir schlenderten durch die Altstadt. Ich spürte, wie peinlich es ihm war, mit mir unterwegs zu sein. Er hatte ganz offensichtlich Angst vor blöden Blicken anderer. Ich habe das dann abgebrochen. Sowas wird mir noch öfter passieren, das weiß ich. Aber, ganz ehrlich: lieber alleine, als so!“
Heute hat Steffi noch frei. Am nächsten Tag wird sie in ihrem neuen Job anfangen.
Wie bei ihrer vorherigen Stelle wird sie wieder für die Kundenakquise zuständig sein, diesmal in einer Webagentur. „Mein Arbeitgeber hat überhaupt kein Problem damit, mich in der Akquise einzusetzen. Es geht einfach nur darum, dass ich einen guten Job mache.“
Sie hat Glück: Steffi erzählt von einer Umfrage, die von der Schweizer Transvereinigung durchführt wurde: fast 50% der befragten Unternehmen gaben an, dass sie lieber keine Transmenschen im Kundenkontakt einsetzen würden, weil sie Bedenken wegen der Außenwirkung hätten.
„Vielen fällt es bei mir nicht einmal auf. Sie sehen eine große Frau, die weiß, wovon sie spricht.“
Seit März läuft bei Steffi ohnehin alles einfacher: „Seit ich als Frau unterwegs bin und ich ich sein kann, ist mein Leben total normal.“ Sie lacht. „Das ist fast schon langweilig, wie das alles so läuft.“
Als Steffi sich bei ihrem vorherigen Arbeitgeber outete, gab es keinerlei Probleme. Die einzige Frage, die sich stellte, war, wie es den Kunden am besten zu vermitteln sei, dass sie ab sofort von einer Frau betreut würden.
So entstand die Idee zu Steffis Website.
Eine kreative Seite, informativ, ansprechend.
Besucher haben die Möglichkeit Fragen zu stellen. „Über 60 Fragen sind schon eingegangen. „Nur zwei davon waren unter der Gürtellinie. Manche fand ich richtig witzig, wie diese: „Liest Du jetzt im Wartezimmer andere Zeitschriften?’“
Der Besucher bekam eine fröhliche Steffi-Antwort: „Ja, weil ich mich endlich traue.“
Steffi möchte mir noch ein wenig von ihrem Lieblingsviertel zeigen. Wir spazieren durch einen Park und durch die Straßen in der Gegend. Hier war einmal die Drogenszene Zürichs.
„Als ich die ersten Male abends hier entlang lief, habe ich mich darüber gewundert, dass die Hinterhöfe blau beleuchtet sind. Bis mir jemand erklärte, dass dieses Licht verhindert, dass man seine Venen findet.“ Gruselig.
Wir sind am zweiten Café angekommen, eine Freundin von Steffi läuft vorbei. Sie grüßt in schönstem Schweizerdeutsch. Ich verstehe kaum etwas. Steffi antwortet lässig.
Von den verschiedenen Dialekten der Schweiz erzählt Steffi und wie jemand, der sich damit auskennt, sie sofort zum Beispiel einem ganz bestimmten Tal zuordnen kann.
Bis eben saßen wir in der Sonne. Jetzt wird der Himmel dunkel. „Macht nichts. Ich habe einen Schirm dabei. Wer hier ohne Schirm aus dem Haus geht, ist echt selbst schuld.“
Steffi wird mich mit der Bahn zum Flughafen begleiten. Doch vorher brauche ich noch ihr Bild mit geschlossenen Augen. „Ganz bei dir, in dich gekehrt, du musst auch nicht lächeln.“ „Oh, ernst gucken? Das kann ich nicht.“
Eine Frage habe ich doch noch: „Steffi, wovon träumst Du?“:
Und eine letzte Steffi Antwort: „Alles was ich mir erträumt habe, war in der Realität nachher besser. Ich hätte vor eineinhalb Jahren mir nicht vorstellen können, dass ich als Frau durch Zürich laufen würde, dass ich so frei bin, dass ich so bei mir bin, dass ich so glücklich sein kann. Und ich bin es doch.“
Liebe Steffi, liebe Kathrin,
Vielen Dank für dieses wunderbare Porträt! Es war ein wahrer Genuss, eine so positive und lebensfrohe Geschichte zu lesen. Es ist schön, dass es Menschen gibt, die eine transidente Person einfach so annehmen wie sie ist. Die Website, die Steffi gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber erstellt hat, finde ich großartig! Was für eine tolle Idee, um dieses Thema aufzuarbeiten und für die breite Maße zugänglich zu machen. Eine tolle Sache.
Mein Lieblingsbild ist übrigens das mit den geschlossenen Augen! Was für ein wunderschönes Bild, was für ein wunderschönes Lächeln, was für eine wunderschöne Frau!
Ganz liebe Grüße
Nika
Was für ein wundervolles Interview von einer tollen Frau! :,)
Hallo Steffi,
das ist wirklich ein tolles Porträt von Dir.
Gratuliere Dir von ganzem Herzen, dass Du es auch geschafft hast. Herzlich willkommen unter uns ganz normalen Menschenfrauen.
Uebrigens: ich lese in der Freizeit und in der Arztpraxis auch Frauenzeitschriften. Und ein Pilcher-Film interessiert mich heute mehr als ein Fussballspiel unseres Berner Vereins. Ein Zeichen, dass man angekommen ist…. 😉
alles liebe aus Bern
Isabelle Wyler
Liebe Steffi, liebe Kathrin,,
ich bin nicht geoutet außer vor meiner Familie, und sie akzeptieren mich nicht als Frau. Bei dem Satz auf dem Polaroid musste ich weinen — sogar in der Arbeit. Zum Glück war gerade niemand da.
Ich bin nicht ich.
Aber ich lese auch die Frauenzeitschriften, das traue ich mich.
Dieser Blog ist wunderbar, ich fange gerade an, ihn zu entdecken.
Vera
Danke euch für eure lieben Kommentare. 🙂
Ich danke Euch allen sehr! Dir, liebe Vera: alles Gute und viel Kraft!