Hamburg im Juli 2015
Als Neva mir entgegenkommt, bedauere ich für einen Moment, dass ich mich bei Max ist Marie für eine schwarz-weiße Bildsprache entschieden habe: die Farben des Mantels zu ihren Augen!
„Ich habe lange gesucht, bis ich endlich eine Schneiderin gefunden hatte, die mir diesen Mantel aus türkisfarbenem Leinen genau nach meinen Vorstellungen nähen konnte. Sie nennt ihre Kreationen „Wesenskleider“. Das ist wie für mich gemacht.“
Neva zeigt mir all die liebevollen Details: „Schau mal hier: die Kellerfalte und das Innenfutter. Da stimmt einfach alles. Nur die Schulterpolster, die würde ich mir heute nicht mehr machen lassen. Zu männlich.“
Wir treffen uns an einem schicken Einkaufszentrum in Hamburg. Hier hatte ich sie zum ersten Mal gesehen und ihr meine Visitenkarte gegeben. Zwei Tage später rief sie mich an.
Durfte ich das, sie einfach so ansprechen für dieses Transgender-Projekt? „Im ersten Moment war ich sehr genervt“, sagt Neva am Telefon. „Da tut man alles – Kleidung, Schminke, Haare, Personensstandsänderung – um in der Menge unterzugehen und als Frau wahrgenommen zu werden. Und dann kommt da jemand und spricht einen an, weil man transsexuell ist. Aber das Projekt klingt spannend und ich bin ein neugieriger Mensch. Also lass uns mal treffen. Nächste Woche habe ich Urlaub. Da kann ich gut.“
Neva’s Arbeitgeber ist ein großer Softwarekonzern. Sie arbeitet im Verkauf und in der Kundenberatung. Vor unserem Termin hat sie sich noch das Ok ihrer Chefin für die Teilnahme am Projekt geholt. „Sie hatte überhaupt nichts dagegen.“
Neva selber aber ist sich noch nicht sicher, ob sie sich tatsächlich für „Max ist Marie“ porträtieren lassen möchte.
„Ich möchte mich nicht so gerne in dieses Trans-Bild einordnen. Häufig bin ich peinlich berührt, wenn ich andere Transgender sehe. Mensch! Man muss doch was tun für sein Aussehen als Frau. Aber hier in Deutschland haben wir so viele Transfrauen, die ziehen sich eine Perücke an und lassen sich falsche Fingernägel machen und denken jetzt sind sie eine Frau. Das geht doch so nicht! Schau mal bei den Thailänderinnen. Die geben sich Mühe, die investieren Geld und Schmerzen. Dass viele dieses Geld nicht haben, weiß ich aber natürlich auch.“
„Außerdem“, fährt sie fort, „muss jede Frau für sich selber entscheiden wie weit sie gehen möchte, jeder definiert das persönliche Glück für sich selbst. Ich habe nun mal einen Hang zur Perfektion. Dabei weiß ich aber, dass ich das eine nicht verlassen kann und in das andere nie kommen werde. Für mich habe ich beschlossen, dass ich das Beste aus dem mache, wie ich nun mal bin als Frau und das Plus zu sehen, das mir das Leben, das ich davor hatte, schenkt. Das ist die größte Freiheit.“
Im Café bestellt Neva einen Tee.
„Ich glaube niemand ist gerne Außenseiter am Rande der Gesellschaft. Ich hatte mir auch nicht auf meinen Wunschzettel geschrieben, dass ich gerne ein Kerl im Rock sein möchte.“
„Also gut,“ sagt sie jetzt: „Gemeinsam ist besser als einsam,“ sagt sie. Ihr Entschluss, sich für Max ist Marie porträtieren zu lassen, ist gefallen.
“Jedes Detail ist wichtig,“ sagt Neva. Und: “Ich gebe nicht gerne die Kontrolle ab. Also achte darauf beim Fotografieren.”
Da ich in Neva nur die Frau sehe, dürfte das nicht so schwer sein.
Neva hat einen guten Job. Seit fünf Jahren arbeitet sie bei ihrem jetzigen Arbeitgeber. Gleich zu Beginn startete sie ihre Hormontherapie. „Ein bisschen Angst vor dem Outing in der Firma hatte ich schon. Aber es war alles überhaupt gar kein Problem. Alle standen und stehen hinter mir. Meine Chefin, meine Kollegen, alle. Ich konnte mich einsortieren und habe zumindest beruflich ein ruhiges Leben.“
20 Jahre lang hatte Neva den Schritt nicht gewagt; immer wieder hatte sie angefangen, die notwendigen Hormone zu nehmen und sie dann doch wieder abgesetzt. „Eine ständige Pendelbewegung war das. Dabei habe ich mich immer gefühlt, als wenn mich irgendein Außerirdischer auf einem falschen Planeten ausgesetzt hätte. Das waren einfach nicht meine Menschen. Irgendwann musste ich mir sagen: „Entweder du tust es jetzt oder du gehst daran zugrunde. Ich hatte das Gefühl zu ertrinken.“
Für einige von Nevas Freunden war der Schritt verstörend: „Ich war immer der Kümmerer, habe sie alle aufgefangen, war immer für alle da. Und auf einmal brauchte „Mutter Theresa“ Hilfe. Damit muss man erstmal umgehen können, wenn sich das Gefüge so verändert. Aber tatsächlich haben fast alle Freundschaften gehalten.“ Bis auf einige wenige, die zu sehr mit dem männlichen Bild verknüpft waren. „Und ein paar Tanzpartnerinnen sind den Weg nicht mit mir gegangen – aber denen kann ich das nun nicht verübeln.“ Neva lacht.
Das ganze Umfeld war eingeweiht. Nur die Mutter wusste lange Zeit nichts. Bis Neva sich traute, ihr die ganze Geschichte zu erzählen, verging einige Zeit. „Ich wollte sie schonen. Meine Mutter ist jetzt 80. Ich hatte Angst, ihr den Sohn zu nehmen. Natürlich hatte sie gemerkt, dass sich bei mir etwas geändert hatte, aber ihre Gedanken gingen in die falsche Richtung. Davor musste ich sie schützen.“
Wie immer sonntags saßen sie gemütlich beim Kaffeetrinken in der Küche der Mutter. Ein Ritual. Neva sagte: „Mutti, wir müssen reden.“
„Und jetzt kommt’s. Das einzige, was sie meinte, war: „Du bist und bleibst mein Kind und ich möchte, dass du glücklich bist.“
Es folgte ein langes Gespräch. Zum Schluss sah die Mutter ihre Tochter an und meinte: „Das ist ja ein Ding. Sowas sieht man sonst nur im Fernsehen und jetzt haben wir das hier bei uns…“ Neva erzählt, wie sehr sie beide gemeinsam lachten. Eine Befreiung.
Das Haus in dem sie ihrer Mutter alles erzählte, in dem Neva aufgewachsen war, brannte wenig später. „Das war schlimm. Ein Schock. Natürlich gab es danach viel zu tun. Meine Mutter meinte, das sei ein guter Zeitpunkt, um mir das Haus zu überlassen. „Mach du dir das mal so, wie es dir gefällt.“ Jetzt wohnt sie noch dort in einem Teil und ich habe zwei Zuhause. Unter der Woche wohne ich in meiner Wohnung in Mariental. Für Partys und Abende mit Freunden ist das Haus super. Im Sommer gebe ich wieder eine Grillparty.“
Neva hat viele gute Freunde, Freunde, die sie begleiten.
Wie ist es mit der Liebe? „Nachdem ich 2 Jahre als Frau gelebt hatte lernte ich wieder eine Frau kennen und wir verliebten uns nach einem halben Jahr ineinander. Für uns beide war es die große Liebe. Ihr habe ich meine Liebestür ganz weit aufgemacht.“
Irgendwann wurde die Frau ihres Lebens zum „Feind in meinem Bett. Wie soll man das im Kopf zusammen bekommen, wenn jemand dich auf Händen trägt, dir sagt „Ich spüre deine Seele“ und dir dann in den Rücken fällt mit Sätzen wie „Das was du lebst, ist kein Leben.“ und „Es sieht doch ohnehin jeder, dass du ein Mann bist.“ Irgendwann meinte sie dann auch noch, ich könne ja, bevor wir heiraten, meinen Personenstand wieder ändern.“
Nach einem Jahr zerbrach die Beziehung an „maßlosem Egoismus“.
Neva brauchte lange, bis sie darüber hinweg war.
„Von Innen nach Außen sieht die Welt noch genauso aus wie vor meiner Transition. Da hat sich nichts geändert. Ich bin immer noch ich. Frau war ich schon in meinem männlichen Körper. Für die Umwelt ist es natürlich anders, die sehen in erster Linie die Veränderung. Das musste ich mir erstmal klar machen. In unserer kleinen Welt im Kopf denken wir ja, dass jeder Mensch so denkt und die Welt so sieht wie wir. So ist es aber nicht.“
Über ihre Veränderungen führt Neva ein Tagebuch, das zunächst als Hormontagebuch begann. Mit der Zeit wurde es zum „Buch der skurrilen Situationen.“
„Ich erlebe die lustigsten Dinge. Das möchte ich alles festhalten, auch die Kleinigkeiten.“
Eine dieser kleinen Begebenheiten erlebte sie, als sie endlich lange Haar hatte: „Meine Haare habe ich über einen langen Zeitraum gezüchtet. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, dass ich sie endlich hatte. Irgendwann fiel mir eine Strähne auf die Schulter und schob sich seitlich vor mein Gesicht. Ich bin furchtbar erschrocken, weil ich dachte, dass da jemand von der Seite auf mich zuspringt.“
Noch eine: „Ich dachte tatsächlich, mit der Einnahme der Hormone und damit dem Ausbleiben von Bartwuchs hätte sich das Kaufen von Rasierschaum erledigt. Weit gefehlt. Ich brauche jetzt mehr als früher, die Beine haben ja eine viel größere Fläche.“
Nevas blaue Augen blitzen vor Lebensfreude als sie diese Geschichten erzählt.
Es gibt aber auch Dinge zu erzählen, da hört dieses Blitzen auf, ihre Augen werden traurig:
Vor einigen Jahren stellte Neva basierend auf einem Gutachten eines Arztes den Antrag auf ihre Brust-OP. Der Antrag wurde abgelehnt. Nach Jahren der Hormontherapie liegt nun seit ein paar Wochen ein neues Gutachten vor. “ In der Zwischenzeit habe ich die Krankenkasse gewechselt. Bei der neuen habe ich vor kurzem das aktuelle Gutachten für eine Kehlkopfreduktion eingereicht.“
Neva war guter Dinge und voller Hoffnung. Einer Hoffnung auf Weiterentwicklung. Auf den nächsten Schritt.
Womit sie nicht gerechnet hatte: der medizinische Dienst der Krankenkassen, der die Gutachten als letzte Instanz untersucht, bleibt immer der gleiche. Das macht den Weg schwierig, auch noch mit fünf Gutachten. Immer wieder werden kleine Hoffnungen zerstört.
„Ohne Hoffnung ist es schlimm für mich als Transgender, und die Krankenkasse, die einem helfen sollte, nimmt einem oftmals diese Hoffnung und damit alle Kraft. Einmal haben sie mir nicht nur einen Antrag abgelehnt, sondern mir auch noch geschrieben, dass meine Transsexualität nicht gesichert sei.“
Ein Schlag ins Gesicht. Neva gelingt es dennoch weiterzumachen. Sie schöpft aus sich selber Kraft mit wunderbaren Sätzen wie diesen: „Es ist die Königin in mir, die mir Kraft und Würde verleiht, die mitfühlend ist. Ich habe eine Flamme der Liebe und Zuversicht in mir, die immer brennt, so schwer es auch manchmal sein mag. “
Wovon träumst Du Neva? „Meinen Traum lebe ich schon. Jeden Tag aufs Neue. Natürlich gibt es Dinge, die man erstmal hinzunehmen bereit sein muss: Egal, was ich mache und egal, wie weit ich gehe, ich werde immer transsexuell sein. Es wird immer einen Punkt geben, an dem es rauskommen kann. Ich will das gar nicht negativ bewerten, aber es ist eine Tatsache. Schlimmer machen muss man es aber auch nicht. Also: Wenn du mich jetzt fotografierst, pass darauf auf.“
„Transsexualität ist verdammt teuer. Ich arbeite ständig an meiner Außenwirkung. Dabei geht es mir nicht nur um die üblichen Dinge wie Kehlkopf abschleifen oder eben Nase verkleinern.“
Die Gedanken kreisen ständig um die Dinge, die noch zu tun sind. „Basisdinge der Weiblichkeit“, wie Neva sie nennt. Das nimmt viel Energie.
„In meinem Alter muss ich zusätzlich gegen die Verfallserscheinungen kämpfen. Es ist schon ein Unterschied ob man mit 20 in die Transsexualität geht oder mit Mitte 50. Die Blume meiner Weiblichkeit ist noch nicht erblüht und ich verfalle schon. Das ist für mich weit schlimmer als für biologische Frauen. Bei ihnen geht es darum, dass sie ihre Schönheit erhalten wollen. Ich muss das alles tun, um meine Weiblichkeit überhaupt erst sichtbar zu machen. Diese Weiblichkeit möchte ich in mir erleben, ich möchte mich als Frau sehen. Die Summe der Details macht mich zu dieser Frau.“
Liebe Newa, liebe Kathrin,
was für ein Porträt! Ich glaube, dieses Porträt ist mein Liebstes. Der Text und die Fotos – alles sprüht vor Energie. Besonders schön finde ich die Fotos Nr. 5, 9, 11 und 12, auch wenn natürlich jedes Bild etwas Besonderes hat.
Was für eine tolle, hübsche Frau mit super Modegeschmack und Ausstrahlung. Was ein Lächeln (!), vor allem auf den letzten Bildern.
Ich bin total begeistert. Vielen Dank für das schöne Porträt, Kathrin, und dir alles Gute Newa.
Viele Grüße aus Köln
Nika
Auch von mir Herzensgrüße und alles Gute für den weiteren Lebensweg. Es war die richtige Entscheidung. Newa ist eine wunderbare Frau, stark und empfindsam zugleich. Auch mir gefallen Ausstrahlung, Text und die Fotos. Alles sehr stimmig. Ich bin tief beeindruckt. Alles Liebe, Karin
Ich habe selten eine Frau gesehen, mit so einer starken Ausstrahlung….Starke Persönlichkeit die durch die Fotografie super authentisch rüber kommt. Respekt an die Frau vor und an die Frau hinter der Kamera. Sonnige Grüße Caro 🙂
Ganz ganz grosse Klasse! Die lebenslustige Frau, die Fotos und das Interview…einfach alles! Love it! Am liebsten würde ich auch gerne sämtliche Fotos in Farbe anschauen :))
Tolle Arbeit liebe Kathrin!
Herzliche Grüsse aus Bern,
Angie
Liebe Newa; Liebe Kathrin;
ganz tolle Bilder und auch ganz tolle Texte! Ich kann viele Eindrücke von Newa nachvollziehen, da ich von mir selbst auch behaupten kann, dass ich Transident bin. @Kathrin: Ich finde es toll, wie du die verschiedenen Personen ablichtest. Mein voller Respekt, echt herrlich schön zum betrachten. Auch, dass du das schwarz-weiß-Konzept so konsequent durchziehst, Respekt und Kompliment !!
Auf meiner Homepage sind auch Bilder von einem Shooting mit einer Fotografin, die gerne solch „spezielle“ Themen angeht.
Ganz lieben Gruss
Carole