Hamburg, im Juli 2014
„Vielleicht wäre es noch interessant, etwas über meinen Namen zu erzählen?“, sagt Janna kurz bevor wir uns verabschieden. „Den Namen Janna haben mir meine Eltern gegeben, als ich nicht mehr Jann war. Ich selber habe mich immer Mia genannt, daraus wurde dann irgendwann Mina.“
Janna Mina.
Kennengelernt hatten wir zwei uns schon letztes Jahr im Dezember. Es war ein Weihnachtsfeiertag und meine Tochter Marie brachte eine Freundin zum Essen mit. Wir mochten Janna sofort. Einen ganzen Abend lang hatten wir sehr gute Gespräche über Transsexualität, Ärzte, Medikamente. Ausweglosigkeit und Hoffnung. Damals wohnte Janna noch in Norden. Und ich erinnere mich sehr genau daran, wie sie erzählte, dass sie dort unbedingt weg wolle. Ihr Traum war es, nach Hamburg zu ziehen.
Schon ein paar Monate später hat sie es tatsächlich geschafft. Wir treffen uns in ihrer WG, die sie mit einer Freundin teilt.
Janna, wie geht es Dir?!
„Ich bin so glücklich hier zu sein! Schon beim Gedanken an Norden bekomme ich einen Kloß im Hals“, sagt Janna. Schlimmer ist nur noch Norderney. „Norderney ist für mich der allerschlimmste Ort den es auf dieser Erde gibt. Da habe ich meine Ausbildung gemacht. Mein Chef war ein Tyrann. 450 Überstunden hatte ich nach drei Jahren. Ich war so oft so kurz davor, das alles abzubrechen. Aber ich lass mich nicht klein kriegen.“
Die Ausbildung schloss sie tatsächlich ab und blieb noch für ein weiteres halbes Jahr auf der Insel in einem anderen Betrieb. Dann hielt sie es nicht mehr aus und trat die Heimreise an.
„Ich kann noch jetzt spüren, wie sich das anfühlte: Es regnete und war sehr windig. Als ich auf der Fähre stand, liefen mir die Tränen gerade so runter und der Wind kühlte mir das Gesicht.“ Es waren Freudentränen.
„Für meinen jetzigen Job musste ich für mein Projekt nochmal nach Norderney. Da kam alles wieder hoch. Als ich wieder dort war, hatte ich eine ganz starke körperliche Reaktion auf diese Insel.“ Janna musste endlich alles vergessen können und mit diesem Lebensabschnitt abschließen. Das konnte sie nur durch einen Ortswechsel. Weg von Norderney, weg von Norden. Das ist einer der Gründe für ihren Umzug. Warum Hamburg?
„Mit Hamburg und mir, das ist etwas ganz Besonderes. Hamburg ist für mich Heimat. Glück. Hier bin ich Zuhause. Das ist einfach meine Stadt. Ich mag die Menschen hier auch sehr.“ „Außerdem“, ergänzt Janna später, „kann ich hier in der Masse untergehen. Hier bin ich einfach eine Frau.“ Ohne Vergangenheit.
Wir stehen in Jannas Zimmer. An der Wand hängen Bilder von ihrem Hund. „Mein Baby. Wenn ich die Fotos ansehe, könnte ich ihn sofort wieder knuddeln.“ Janna hat ihn in Norden bei ihren Eltern gelassen. „Dort geht es ihm besser. Da hat er den großen Hof und Freiheit.“
Erst vor ein paar Tagen ist Janna hier eingezogen. Janna hat noch viel vor mit ihrem Zimmer. „Die Matratze muss weg vom Boden. In die Ecke möchte ich ein Hochbett bauen.“ Eine Anleitung dafür hat sie schon aus dem Internet herunter geladen. „Unter das Bett kommt das Sofa, auf dem Freunde übernachten können.“
Von ihren Freunden erzählt Janna in den Stunden, die wir zusammen sitzen und spazieren gehen, viel. Freunde sind sehr wichtig für ihr Leben. Ihre alten Freunde aus Norden, von denen viele nun in Bremen leben. Ihre neuen Freunde in Hamburg.
„In Hamburg bin ich schon richtig gut angekommen. Ich habe hier einen schönen Freundeskreis.“
„Die Freundschaft mit Marie hier in Hamburg“, sagt Janna, „ist für mich sehr wichtig. Sie hat mir auch geholfen, meinen Weg zu gehen. Wir denken gleich und gehen sehr ähnlich mit unserer Geschichte um. Das Armband hier hat mir Marie geschenkt. Das trage ich jeden Tag.“
Jannas „Geschichte“ begann in ihrer Kindheit, in der sie sich schon nicht als Junge fühlte und entwickelte sich letztes Jahr im März endlich weiter. „Meiner Freundin hatte ich in den vier Jahren unserer Beziehung immer und immer wieder gesagt, dass es etwas gibt, das ich ihr nicht erzählen kann. Irgendwann musste ich dann raus damit. Das war Anfang letzten Jahres.“ Zunächst schien es, als könne die Beziehung dennoch halten. „Meine Freundin hat versucht, sich anzupassen. Aber das männliche fehlte ihr. Das funktionierte dann irgendwann nicht mehr.“ Janna hatte immer versucht, männlich zu sein. „Ich habe die Person dargestellt, die ich sein sollte. Vom Charakter her passte das auch, aber das ganze Leben war gespielt.“
„Meine Freundin und ich, wir waren und sind Seelenverwandte. Das was eine ganz starke, schöne Beziehung.“ Janna öffnet ein Kästchen. „Das ist meine Schatzkiste. Es gibt eine ganz wichtige Sache, die ich Dir zeigen möchte.“ Ein kleines Stückchen Holz. „Das habe ich während eines Spaziergangs mit meiner Freundin auf dem Boden liegen sehen. Es hatte sofort eine ganz besondere Bedeutung. Ich hob es auf und sagte zu meiner Freundin: „Das ist jetzt für immer ein Stückchen Erinnerung für uns beide.“ Vielleicht wusste ich damals schon, dass es mit uns irgendwann nicht mehr weitergehen kann.“
Nach ihrem Outing begann Janna ihre ganz eigene „Therapie“: „Für mich war von Anfang an klar, dass ich offen mit meiner Transidentität umgehen werde. Das finde ich auch immer noch wichtig. Irgendwann muss sich doch mal etwas ändern in unserer Gesellschaft.“ Janna begann, einen Blog zu schreiben, ein Tagebuch, um das alles verarbeiten und ihre gedanken mit Freunden und Verwandten teilen zu können.
„Im Kopf eine Frau und äusserlich ein Mann zu sein und zuzusehen wie sich der Körper immer weiter *verunstaltet, ist eine Verzweiflung, die nicht zu enden scheint.“ schreibt Janna als einen der ersten Sätze.
Der Blog wurde schnell bekannt. Von vielen transidenten Menschen bekam Janna Mails mit Fragen und Bitten um Unterstützung: Transidentität. Wie geht das? Wie geht man den ersten Schritt? Wie erkennt man, dass man transident ist?
Janna sagt: „Transsexualität ist kein Lebensstil. Entweder man ist es oder nicht. Das spürt man schon selber.“
Nach ein paar Monaten konnte Janna die vielen Anfragen nicht mehr beantworten. Sie beschloss, den Blog zu schließen, um niemanden zu enttäuschen. „Ich musste auch mehr auf mich selber achten.“
„Auf mein Outing habe ich gute Reaktionen bekommen. Zwei liebste Freundinnen aus Norden gaben und geben mir sehr sehr viel Kraft.“ Aber nicht alle Reaktionen waren gut. Es gab auch viele, die weh taten. „Man muss Transsexualität ja nicht verstehen, aber wenigstens akzeptieren.“ Janna sitzt mir jetzt gegenüber auf ihrer Matratze. Die Sonne strahlt durchs Fenster.
Je weiter Janna ihren Weg ging, desto klarer wurde ihr, wie wenig Unterstützung und gute Informationsquellen es für transidente Menschen gibt. Sie möchte helfen, zu verstehen. Deshalb hat sie ihren Blog wieder aufleben lassen. Diesmal nicht in Form eines Tagebuches: „Es kommt sehr viel Kritik von Transidenten zum Thema, „Trans-Aufklärung“ da die Medien ein verzerrtes Bild von uns darstellen. Es ist eher eine Vermarktung als eine wirkliche Aufklärung.
Darum stelle ich eine Seite öffentlich, auf der so manche wissenswerte Begrifflichkeit und Unterschiede erklärt werden.“
Nächstes Jahr wird Janna den nächsten großen Schritt gehen: Die geschlechtsangleichende OP. „Ich habe wahnsinnige Angst vor dieser OP. Aber sie wird das Ende des schweren Weges sein, dann bin ich endlich wirklich Frau und das Kämpfen hat ein Ende.“
Janna hat sich, wie viele Transfrauen, für eine OP in Thailand bei Dr. Suporn entschieden. Eine Entscheidung, die viel Geld kostet. Etwa 15.000 € muss Janna sparen. „Aber das schaffe ich irgendwie.“ Die Warteliste bei Dr. Suporn ist lang. Jeden Tag der Woche eine OP. Janna hat ihren Termin für Mai 2015 reserviert.
In Deutschland würde die geschlechtsangleichende OP von der Krankenkasse übernommen werden. Aber was ist das wert, wenn man sich des Ergebnisses nicht sicher sein kann? „In Deutschland üben die Ärzte noch“, sagte vor kurzem eine Transfrau zu mir. Außerdem müssen für eine OP in Deutschland viele Gutachten von vielen verschiedenen Ärzten gesammelt werden. „Das ist erniedrigend und kostet so viel Kraft.“ Als ob irgendjemand beschließen würde, transident zu werden und sich einer solchen OP zu unterziehen, um den Krankenkassen auf der Tasche zu liegen. Viele Gründe für Thailand.
Ganz viel Kraft in ihrem Leben gibt Janna ihre Musik. Death Metal. „Schrill, laut, schnell, viel Geschrei. Das hilft mir, Aggressionen los zu werden. Musik ist für mich Leben. Wenn ich mal eine Woche keine Musik gehört habe, fühle ich mich richtig leer.“ 2009 hat Janna eine Ausbildung im Screaming begonnen. „Das ist einfach herrlich. Man kann alles rauslassen.“ Janna grinst. „Und wenn man will, kann man klingen wie ein Monster.“ Die Screaming-Ausbildung hat Janna auch geholfen, ihre weibliche Stimme zu finden. „Heute ist meine Stimme leider etwas angeschlagen. Ich war gestern zum WM-Finale mit einem Freund auf der Reeperbahn. Wir haben so richtig gefeiert.“
Janna möchte mir noch ihre Lieblingsbrücke zeigen. „Ich mag den Namen.“ Sie trägt Ihr Fahrrad, das in ihrem Zimmer wohnt, auf die Straße.
Langsam gehen wir in Richtung „Schwarze Brücke“, bleiben stehen und schauen aufs Wasser. „Mit dem Fahrrad durch Hamburg zu fahren, liebe ich. So erkunde ich die Stadt. Dabei schaue ich extra nicht auf irgendwelche Karten. Sonst lerne ich ja nichts. Manchmal wundere ich mich, wo ich denn nun wieder gelandet bin.“
Janna muss noch einkaufen. Blätterteigrollen mit Räuchertofu soll es geben. „Ein Rezept von Marie, das hatte sie mal für eine Party gemacht und ich fand das so lecker.“
Noch ein paar Bilder von Dir, Janna, im Abendlicht auf der Brücke. „Sehr gerne! Früher habe ich Fotos von mir gehasst. Da habe ich immer extra doof geschaut, damit keinem die Bilder gefallen.“ Und sie fügt hinzu: „Jetzt mag ich Fotos von mir. Und endlich auch Spiegel.“
Da radelt sie davon. Tschüss, Janna, wir sehen uns bald wieder.
<3 Weiterhin alles Liebe
WUNDERWUNDERSCHÖN, das Portrait. Es ist mir sehr zu Herzen gegangen, hat mich sehr berührt. Danke dafür und alles Liebe und Gute, weiterhin Mut, Kraft und dass die OP bringt, was sie sich wünscht an Janna Mina!!
Nora aus Österreich
Ein wundervoll bebildertes Portrait einer liebenswerten bodenständingen und sehr hübschen Nordfrau! <3
Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen…. (ich habe schon einige andere Portraits kommentiert)… aber was wahr ist sollte so oer so gesagt werden.
Wie schön sie ist…. *Seufz*! 🙂
Wohnungseinrichtung passt zur Seele (insoweit ich das hier mit meinen Mitteln beurteilen kann und darf) und ist feinfühlig, fragil, ausdrucksstark.
Und ja, das ist mein voller Ernst. Wenn mir etwas nicht gefällt sage ich eben einfach nichts. Und wenn mir etwas gefällt – dann muss es raus.
Alles Liebe, liebe Janna, ich hoffe alles ist gut gegangen.
Du bist so schön
Gratuliere zu dem Entschluss
Ich wünsche dir ein schönes Leben