Bad Schwartau im Juni 2014
„Tschüss, Hase!“ Eine liebevolle Umarmung und weg ist er. Denise lächelt mich an: „Die neue Beziehung tut mir gut. Das Glück gibt mir Kraft.“ Schnell die Hundedecke vom Sofa gezogen. Rübe durfte Herrchen zur Arbeit begleiten. „Ich bin so dankbar für mein Umfeld. Für die ganze Unterstützung, die ich erfahren durfte.“ Die Dankbarkeit taucht immer wieder auf in Denise‘ Sätzen. Dankbar für ihre Freunde, für die Hilfe Ihrer „zukünftigen Ex-Frau“, dankbar für ihre Kinder. Und ganz besonders auch für die Offenheit ihrer Kollegen.
Denise hat BWL studiert. Seit zwölf Jahren arbeitet sie in einer Firma in Norddeutschland als IT Beraterin. Im Oktober 2012 hatte sie sich einen Freitag freigenommen.
Das war der Freitag, an dem um 10 Uhr ihr Finger über der Tastatur schwebte und dann doch irgendwann den Sendenknopf drückte. Und schon war die Mail an rund 300 Kollegen mit Kopie an die Kunden verschickt: „Hallo liebe Kollegen/innen, ich möchte Euch von einem Schritt in meinem Leben informieren, der mir nicht leicht fällt, aber unausweichlich ist.“
„Oh mein Gott, was hab ich getan!?“
Denise saß zitternd über ihrem Laptop. Drei Minuten später die Mail von Geschäftsleitung und Betriebsrat, in der die Belegschaft um absolute Unterstützung gebeten wird. „Das war alles genau durchgeplant. In mehreren Sitzungen mit meinen Vorgesetzten und mit dem Betriebsrat abgestimmt. Erst am Montag ging ich wieder in die Firma und gab zum Einstand ein Frühstück aus.“
Die Kollegen sollten ein ganzes Wochenende haben, um sich untereinander auszutauschen und sich mit dem Gedanken anzufreunden. Diese Zeit brauchten die meisten offensichtlich gar nicht. „Innerhalb weniger Minuten bekam ich um die 50 Mails mit Glückwünschen und anerkennenden Worten. Das machte ständig Pling! Pling! Pling!“ Meine Teamkollegen und meine Vorgesetzten haben mich nicht allein gelassen. Das tat so gut!“
„Natürlich kann man es nicht jedem Recht machen, und das muss man auch nicht. Ich muss nicht jedem gefallen – und ich muss auch nicht jeden mögen. So was reguliert sich von ganz alleine. Das ist bei allen anderen Menschen untereinander ja aber auch nicht anders.“
Es gibt wohl nichts, was Denise so leicht umhaut. Die Trennung von ihren Kindern tut es. 12 und 17 Jahre sind sie und leben gerade so weit entfernt, dass es für regelmäßige Treffen am Abend nach der Arbeit schwierig ist. Traurig ist sie, sie nicht öfter sehen zu können. Und wenn man sich dann doch sieht: „Der Abschied raubt mir jedes Mal die Luft zum Atmen.“
An Ostern hatten sie Denise und ihren Freund besucht. Wenn sie da sind, kocht sie ihnen immer etwas, was sie gerne mögen. „An Ostern gab es Hähnchenschenkel, Klöße, Rotkohl und leckere Sauce. Das essen die Kids für ihr Leben gerne. Da meinten sie: „Die Sauce ist ja besser als bei Oma.“ Das will was heißen.“ Denise lacht wieder.
Dieses Lachen. Ein echtes Frauenlachen. “ Musstest Du dafür lange üben?“, frage ich sie“ „Neee, ich hab schon immer so gelacht. „Du kicherst ja wie ein Mädchen“, haben die immer zu mir gesagt.“ Wieder dieses Lachen. Herrlich!
Eine glückliche Ehe hatten sie, Denise und ihre Frau. Mit Haus in Lübeck. „In dem saß ich dann alleine, als sie mit den Kindern ausgezogen war. Das war zeitgleich mit dem Beginn meiner Hormontherapie. Kann sich keiner vorstellen, was das bedeutet.“
„Wir hatten ein sehr liebevolles Verhältnis. Auch nach meinem Outing.“ Denise Outing war vor gut 2 Jahren. Schon 18 Jahre zuvor hatte sie mit Sicherheit gewusst, dass sie im falschen Körper unterwegs war. Ein langer Weg war das damals bis zur Selbsterkenntnis. „Ich beneide die jungen Dinger von heute, die dank Internet alles viel schneller herausfinden können.“
Die Verantwortung für ihre gerade geborene Tochter hatte Denise damals davon abgehalten, den Schritt früher zu gehen. So hat sie weitergemacht, bis es gar nicht mehr ging. Angst vor Enttarnung. Panikattacken. „Einmal vor ca. 2,5 Jahren war es so schlimm, dass ich vor lauter Angst bewusstlos wurde. Auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise war das. In einem ICE.“ Ab diesem Punkt ging es einfach nicht mehr.
Vorsichtiges Vorfühlen im Bekannten- und Kollegenkreis: „Ich habe eine Freundin, die Trans ist.“ Nie schlug ihr das Unverständnis entgegen, mit dem sie gerechnet hatte. Eines Tages dann das Gespräch mit ihrer Frau, dass sich ihr Leben ändern wird. Denise war auf Schlimmes gefasst. Die Antwort aber war: „Ich werde dir helfen.“
„Irgendwann hat sie dann jedoch gemerkt, dass sie ihren Mann verloren hatte.“ Und lernte bald einen Anderen kennen. Ein großes Loch tat sich vor Denise auf. „Das ist alles noch so frisch. Meine Kindern fehlen mir so,“ sagt sie. Sitzt vor mir, unendlich traurig.
„Es ist ja klar, dass es schwer für meine Ex-Frau war. Und ich bin ihr dankbar, dass sie mir in der Anfangszeit meines neuen Lebens zur Seite gestanden hat. Ich habe mir dann immer vorgestellt, wie das wohl für mich gewesen wäre, wenn sie mir gesagt hätte: „Ich bin übrigens ein Mann. Jetzt lieb mich mal so.“ Letztlich war die Trennung aber auch reinigend, weil sich Denise nur so auch wirklich frei weiter entwickeln konnte.
Von den alten Freunden sind Denise nur wenige geblieben. „Für mich war immer klar: Ich wollte nie jemanden überreden mich zu verstehen und mich zu begleiten. Überzeugungsarbeit geht nicht. Ich wollte und werde mich dafür, wie ich bin, nicht rechtfertigen, warum sollte ich auch?“
Mit dem Outing gönnte Denise sich eine neue Uhr. „Ich habe immer eine Uhr für einen Lebensabschnitt. Uhren sind meine Leidenschaft.“
Viele gute Freunde hat Denise heute. Von den alten Freunden ist nur einer geblieben, der ihr auch sehr bei der Vorbereitung des Outings zur Seite stand. Mit dem Anfang des neuen Lebens hatte sie sich parallel ein komplett neues privates Umfeld aufgebaut. Die neuen Freunde haben ihr geholfen, die schlimme Zeit der frischen Trennung zu überstehen. „Ich wollte die Probleme, die ich hatte, nie bei einer einzigen Person abladen.“ Die Last musste auf mehreren Schultern verteilt werden. Denn: „Wer kann das Gejammer auf Dauer schon aushalten?“ Eigentlich war Ausheulen auch kein Thema. Es ging um Verdrängen. „Ablenkung war das, was ich wollte.“ Vor den Sonntagen hatte Denise immer Angst. „Sonntag als frischer Single ist wirklich schwierig. Da hast Du zwei Möglichkeiten: Du sitzt Zuhause heulend in der Ecke oder: Du feierst Samstag nacht so heftig und lange, dass der Sonntag einfach nicht stattfindet. Huch! Schon Montag?! Das war für mich genau das Richtige um Distanz zu gewinnen.“
Ende letzten Jahres lernte Denise ihren jetzigen Freund kennen. „Das passte einfach von Anfang an. Er gibt mir so viel Kraft und Sicherheit, das tut so gut. Vor allem seine Unterstützung wenn es mir auch mal nicht so doll geht. Ich genieße die Zeit, die wir zusammen verbringen, die Spaziergänge mit dem Hund, in Cafes zu sitzen, mich mit ihm zu unterhalten und vieles mehr.“
Lange haben wir nun zusammen gesessen. Ich bekomme noch eine Führung durch die neue Wohnung.
„Ist vieles noch nicht ganz fertig hier. Über den Esstisch muss noch ein Bild. Ein richtig knallig buntes.“
Über dem Bett im Schlafzimmer hängt schon eines. „Das hatte ich schon solange aber es war im alten Haus im Keller und aus der Wahrnehmung verschwunden. Mit dem Umzug habe ich es neu entdeckt und mich daran erinnert wie oft ich es vor so vielen Jahren ansah und gerne so sein wollte.“ Jetzt darf das Bild wieder hängen: „So wollte ich immer aussehen. Und jetzt bin ich auf dem Weg dorthin und habe es fast geschafft.“
Eine gut gelaunte Kämpferin sitzt da vor mir. Politisch engagiert sie sich für die Rechte der Trans* Menschen. „Das deutsche Gesetz zur Personenstandsänderung ist eine Katastrophe. Es entspricht nicht den Vorgaben der EU. Auch hat das Bundesverfassungsgericht fast das komplette sogenannte Transsexuellengesetz wegen Verfassungswidrigkeit in den meisten Paragraphen für ungültig erklärt und den Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert. Das wurde schon häufig angemahnt und nichts ist passiert. So reicht es bis heute nicht aus, mit den entsprechenden Diagnosen und Indikationen von Ärzten und Psychologen, die für medizinische Massnahmen und operative Eingriffe erforderlich sind, eine Vornamens- und Personenstandsänderung (VÄ/PÄ) vor Gericht amtlich bestätigt zu bekommen. Der Staat benötigt zusätzliche Gutachten, die man in Größenordnungen von bis zu 4000,- EUR selbst bezahlen muss. Die Bedingungen für medizinische Massnahmen, die die Krankenkassen übernehmen und die bereits schon recht restriktiv sind, stehen in keinem Verhältnis zu den Bedingungen für eine VÄ/PÄ. Da bin ich schon seit fast 2 Jahren voll sozialisiert als Denise K., habe meinen Firmenausweis, meine Krankenversicherungskarte, meinen Mietvertrag und diverses Anderes darauf laufen und muss noch zusätzliche Gutachten beibringen, die mich dann auch noch als krank stigmatisieren. Zum Dank darf ich diese Gutachten auch noch selbst bezahlen – das ist ein ganz schlechter Witz. Da schreibe ich immer wieder mal Briefe und unterhalte mich auch persönlich mit den verantwortlichen Politikern. Bei CSDs Land auf, Land ab lächeln die dann immer zustimmend und dann fahren sie wieder nachhause und ändern nichts.
Ich habe meinen Namen halt so geändert, auf meinem Firmenausweis steht er, auf meinen Visitenkarten, an der Bürotür und auf vielen anderen Dokumenten. Die komplette Korrespondenz, auch privat, läuft auf meinen weiblichen Namen. Solange das Gesetz so ist, werde ich keinen Antrag auf Änderung stellen. Ich kann nicht gegen ein Gesetz kämpfen und mich ihm gleichzeitig unterordnen. Da bin ich konsequent. Der Name ändert ja auch nichts an meinem Leben.“
Denise grinst: „Manchmal mach ich mir da auch einen Spaß daraus. Hab jetzt halt zwei Namen. Vor kurzem wollten die von der Telefongesellschaft mal wieder Herrn K. sprechen. „Guten Tag Frau K., dürfen wir mal Herrn K. sprechen?“ Da hab ich denen gesagt: „Herrn K. gibt’s nicht mehr.“ „Wie, den gibt’s nicht mehr? Ist der gestorben?“ „Ja, der ist tot und ich bin die Nachfolgerin.“ Ein hübsches Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Trotz allem möchte man aber auch damit irgendwann endlich mal durch sein und endlich Ruhe und vor allem Rechtssicherheit haben.“
Es wird spät. Denise möchte mir noch den See in der Nähe zeigen. Den See der Stadt, in der sie aufwuchs und in die sie zurückgekehrt ist. Beim Verlassen der Wohnung unterhalten wir uns, Denise zieht die Wohnungstür ins Schloß. Ein Aufschrei. Der Schlüssel ist in der Wohnung, Denise Freund zum Arbeiten in Hamburg, wo er über Nacht bleiben wollte.
Ein Nachbar hilft mit einer Leiter zum Balkon. Der „Einbruch“ in die eigene Wohnung scheitert trotz geklappter Balkontür.
Telefonate mit dem Freund in Hamburg: „Duuu, Schaaatz, mir ist was ganz Blödes passiert.“ Noch ist nicht sicher, ob er am Abend wird kommen können, um aufzuschließen. Nach anfänglicher Verzweiflung beschließt Denise, das sich das schon alles irgendwie richten wird.
Jetzt also zum See.
„Weißt Du, es gab einen Projektplan „Denise“, so richtig mit Timeline. In fast allen Punkten habe ich die einhalten können.“ Wie die Menschen um sie herum reagieren würden, war nicht zu planen. „Ganz viele kamen auf mich zu: „Man merkt jetzt: Du bist Du. Jetzt weiß man, wie man mit Dir umgehen kann.“
Vor ihrem Outing wusste sie ja selber häufig nicht, wer sie war. „Da hast Du so eine Mauer um Dich, mit Nato-Stacheldrahtzaun. Und dann schaffst Du Dir noch ein paar kläffende Hunde an.“ Und der Schutz ist vermeintlich perfekt.
„Heute geht es mir sehr gut und ich bin glücklich mit meinem Leben, meinen Freunden und meiner neuen Beziehung.“
Abends, wieder Zuhause, erreicht mich eine SMS von Denise: „Ende gut, alles gut. 🙂 Mein Freund hat mir aufgeschlossen und mich noch zum Essen eingeladen. OMG wie lieb von ihm.“ Und wieder wurde aus etwas Unglück reines Glück. Die SMS geht weiter: „Es war eine tolle Zeit mit Dir. Wie die Zeit verflogen ist. Aber jetzt bin ich auch etwas groggy, ob der Vergangenheitsbewältigung. GLG, Denise.“ Danke!
Einige Zeit unseres Lebens haben wir in der selben Firma gearbeitet. Wir hatten sofort einen „guten Draht zueinander“! Ich habe O.K. immer als Kollege geschätzt. Ich kenne die Familie. Wir waren einige Male zusammen. Beim Umzug habe ich mit meiner Frau geholfen. Einige Bäume im Garten wurden von mir gefällt.
Da ich aus beruflichen Gründen nun weit im Süden tätig bin, zudem in der Schweiz lebe, hatten wir nur noch telefonischen Kontakt. Spätestens zum Geburtstag konnten wir uns wiedermal austauschen.
Dann kam der Tag als ich die Frau von O.K. zum Geburtstag anrief und lange mit ihr sprach. Zum Schluß sagte sie: „Möchtest du O. sprechen, er ist auch da?“. Natürlich wollte ich O. sprechen, denn wir hatten uns immer etwas zu erzählen.
Auch hier kam es zu einem langen Gespräch, bei dem O. sagte: “ Ich heiße jetzt Denise.“. In der Sekunde war mir klar, in welch einem Dilemma O./Denise während der vergangenen Jahre gesteckt haben muss. Wir haben – zwischendurch sogar mit seiner/ihrer Frau – lange am Telefon kommuniziert.
Ich hoffe, dass ich Denise von meiner Seite meine Anerkennung, meine Achtung und meine Freude für ihr neues Leben vermitteln konnte. Wir stehen immer noch in Kontakt und werden den Kontakt auch nicht beenden.
Meine Frau und ich hoffen, dass wir Denise und ihren Freund eines Tages bei uns zu Gast begrüßen dürfen!!!