Hamburg im März 2016
Einmal König der Löwen als Musical sehen zu können, davon träumt Liam seit 17 Jahren. Morgen ist sein Geburtstag und er schenkt seiner Freundin Chrissi und sich ein paar Tage in Hamburg.
Heute sind sie aus Nürnberg angekommen. „Hätten wir uns morgen Abend vor dem Musical getroffen, hättest du mich in meinem Lieblingsoutfit fotografieren können: Anzug und Krawatte.“
Die Krawatte trägt Liam auch heute bei unserem Treffen; sie ist eines seiner Lieblingsaccesoires geworden.
„Schon seit Jahren möchte ich Bilder von mir haben, die mich genau so zeigen, wie ich wirklich bin und nicht wie ich sein soll. Das Gefühl, das in den Bildern von „Max ist Marie“ steckt, finde ich so ergreifend, dass es mich freuen würde, Teil dieses wundervollen Projekts zu sein,“ so hatte Liam mir vor fast zwei Jahren geschrieben. Es hat lange gedauert, bis wir uns endlich treffen konnten.
Ich hole die beiden im Hotel ab; wir spazieren durch die Schanze in Richtung Neuer Pferdemarkt. „Das passt ja, ich liebe nämlich Pferde“, sagt Chrissi, als sie das Straßenschild liest. „Seit zwei Jahren sind wir zusammen, aber für das Pferdethema konnte Chrissi mich noch nicht richtig begeistern. Ich bin Hundefan.“ Von den Hunden seiner Exfreundin, Muffin und Harvey, erzählt Liam mit leuchtenden Augen.
Der schneidende Hamburger Wind treibt uns nach kurzer Zeit in ein Café.
Die Frisur ist ruiniert.
Chrissi und Liam setzen sich nebeneinander, halten Händchen.
Die beiden lachen viel miteinander. Auch über die skurrilen und häufig verletzenden Situationen des Alltags.
„Ich bin beides,“ sagt Liam. „Mehr Mann als Frau, aber eben doch beides. Meine Erziehung ist Teil von mir; ich wurde als Mädchen sozialisiert, deshalb ist es für mein Inneres einfacher mit beidem zu leben. Für mein Äußeres ist es schwieriger, weil die Welt ist wie sie ist. Wenn ich z.B. zur Toilette gehe, stelle ich mich dort an, wo die Schlange kürzer ist. Und das ist nunmal meistens bei den Männern“, lacht er.
Manchmal schauen die Leute dann komisch, mehr aber nicht.
Und manchmal gibt es eben doch auch Menschen, die mehr tun, als sich zu wundern. So wie beim „Annafest“ in Forchheim: „Ich ging das erste Mal auf die Toilette, da war niemand, da war alles gut. Beim zweiten Mal war ich schon etwas angetrunken, bei den Damen standen viele an, ich steuerte durch die Tür für die Herren. Davor standen ein Klomann und eine Klofrau Die Frau rannte mir hinterher, erreichte mich aber nicht mehr. Als ich wieder raus kam, schrie sie mich an, dass ich dort nichts verloren hätte. Wegen Menschen wie mir müssten sie immer die Polizei holen. Ich hab meinen Ergänzungsausweis rausgeholt, mit der Bekräftigung, dass ich das wohl dürfe. Die beiden haben sich den Ausweis nur eine Sekunde lang angesehen. Und dann weitergeschrien. Ich bin einfach gegangen.“
Im Gegensatz zu den meisten Transsexuellen möchte Liam sich nicht mit Hormonen „angleichen“ lassen. Ganz bewusst hat er sich dagegen entschieden.
„Mein gewählter Name ist Liam, ich bin körperlich Frau, innerlich aber mehr Junge als es gut für mich in der Gesellschaft wäre. Dadurch ecke ich mit meinem Aussehen und meinen Handlungen sehr oft an. “ „Ich mag meinen Körper tendenziell und hatte bislang nicht das Bedürfnis etwas an ihm zu ändern. Hormone sind mir auch zu risikobehaftet.“
Ein Psychiater, zu dem Liam im Jahr 2014 einige Zeit lang ging, hat ihn ein Jahr in seiner Entwicklung gekostet. „Er drängte mich dazu, Hormone zu nehmen, da sonst die Krankenkasse die Masektomie nicht bezahle.“ Später erfuhr Liam, dass diese Behauptung auf den Standards of Care von 2009 beruhte. 2012 war entschieden worden, dass eine Hormongabe keine Voraussetzung für die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse mehr sein dürfe.
Einen zweiten Psychiater suchte Liam 2015 in Würzburg ein paarmal auf. „Die Zeit war qualvoll. Ich musste schauspielern und ihn davon überzeugen, dass ich genügend männliche Anteile in mir habe. Das bin aber gar nicht ich! Ich kann doch meine weibliche Seite nicht komplett verleugnen, die ist doch auch ein Teil von mir.“
In seiner Suche nach Unterstützung und Austausch besuchte Liam eine Selbsthilfegruppen. Und fand auch dort die „Schere im Kopf“: „Du musst entweder Frau sein oder Mann. Beides geht nicht. Abgesehen davon bin ich aber auch nicht so der Selbsthilfegruppen-Typ.“
Liam arbeitet als Technical Campaign Manager. Dort ist er zuständig für die technische Umsetzung von Newslettern für Agenturen. Außerdem kümmert er sich um die Datenbanken, Websites . „Ich bin das Mädchen für alles.“
Studiert hat er Mediaevistik; die Geschichte des Mittelalters fasziniert ihn. „Das männliche Verhalten der weiblichen Protagonistinnen in der Nibelungensage! Brünnhild, Kriemhild… das ist alles wahnsinnig spannend!“
Während seiner Abiturzeit, sagt Liam, habe er schon ein wenig verrückt ausgesehen, wollte sich von den anderen abheben: „Schwarze Klamotten, bunte Ringelsocken und Glöckchen an den Schuhen. Oh Mann…
Ich war einfach anders … für mich und für andere … und keiner wusste, was nicht an mir passte.“ 14 Jahre lang wurde er gemobbt.
Der Kaffee hat uns aufgewärmt, mittlerweile ist es dunkel draußen. Wir wollen noch ein wenig über den Dom schlendern.
Liam erzählt weiter:
„Als ich endlich für mein Studium nach Erlangen ging, in die große weite Welt, und raus aus meinem Dorf kam, hat mir das die Augen geöffnet. Dieser Schritt hat mich befreit. In Erlangen konnte ich andere Menschen mit einem weiteren Horizont kennenlernen!“
Als Wendepunkt beschreibt Liam den Moment, als er eine Frau trifft, die mit „er“ angesprochen wurde, die Männerklamotten trug. „Das wollte ich auch alles, aber ich war schon so depressiv und unglücklich, dass ich keine Kraft mehr hatte. Ich musste stationär aufgenommen werden.“
In der Klinik stieß Liam zum ersten Mal auf Widerstand wegen seines, wie er es formuliert „Daseinswunsches“: Bei der wöchentlichen Visite saß er auf einem niedrigen Stuhl und blickte der Oberärztin, mindestens 1,80 groß, von unten ins Gesicht. „Sie wirkte wie ein übergroßer Drache. Als ich ihr ängstlich mitteilte, dass ich die Vermutung habe, transsexuell zu sein, fegte sie mit einem lauten, harschen Organ über meine Aussage mit einem „Das glaube ich nicht!“ hinweg und verschwand wieder aus dem Raum.“ Sie war der erste Mensch, dem Liam sich offenbart hatte. „Das tat mir so weh. Ich war am Boden zerstört und zog mich wieder in mich selbst zurück.“
„Sich erheben immer und immer wieder bis die Lämmer zu Löwen werden,“ lautet Liams Status auf Whatsapp. Liam ist ein Kämpfer: Aus eigener Kraft schaffte er es, sich aus dem dunklen Tunnel zu befreien.
„Meine Geburt war extrem schwierig; fast wäre ich dabei gestorben. Mit acht Monaten stellten die Ärzte bei mir Stimmbandkrebs fest. Bei der OP stellte sich zum Glück heraus, dass es nur gutartige Wucherungen gewesen waren. Ich habe das alles besiegt. Da konnte ich mich doch von so etwas nicht unterkriegen lassen. Und ich werde auch diesen Abschnitt schaffen. Jetzt habe ich ja auch Chrissi an meiner Seite.“
Seit zwei Jahren sind die beiden ein Paar. „Du bist für mich ein Kerl, egal was der Körper dazu sagt,“ sagte Chrissi irgendwann einmal zu Liam. Worte können soviel Kraft geben: „Was das in mir ausgelöst hat! Ich wusste: bald werde ich irgendwo angekommen sein,“ sagt Liam jetzt.
Seine Familie hat Liam über die Jahre hinweg langsam an seinem Prozess teilhaben lassen. „Sie haben akzeptiert, dass ich ein wenig anders bin, dass ich in meinem privaten Umfeld mit „er“ und einem anderen Namen angesprochen werde und es für mich nicht so schlimm ist, bei ihnen „sie“ mit meinem Taufnamen zu sein. Ich bin froh, dass ich sie habe! Es war nicht immer leicht, aber sie haben das alles mitgemacht.“
Auch in seinem weiteren privaten Umfeld war sein Thema nie eines: „Ich bin in der Wassergefahrengruppe beim THW und wir sind für Gefahren rund um das Wasser zuständig, z.B. auch das Hochwasser.
Bei der Ausbildung in Hoya haben mich immer alle als „er“ und „Liam“ akzeptiert, ohne Schwierigkeiten bekam ich auch ein Einzelzimmer und dergleichen. Es ist schön, Kameraden zu haben, die einen so akzeptieren, wie man ist. Vor kurzem wollte Liam in Hoya den Bootsschein machen. „Leider war ich bei der praktischen Prüfung einfach viel zu aufgeregt … ich hab immer leichte Prüfungsangst, die mir dann mein Können versaut….“ Liam lacht wieder.
Am letzten Tag seines Hamburgbesuches hat Liam noch einen sehr wichtigen Termin: Die Vorbesprechung für seine Mastektomie. Viel zu lange musste er dafür kämpfen.
„Meine Brust macht es mir unmöglich, mich frei zu bewegen. Ich möchte so gerne endlich nur mit Badeshorts bekleidet am Seeufer liegen dürfen, Narben hin oder her. Laut Psychiater wird das wohl nie möglich sein. Er nimmt mir meinen Leidensdruck nicht ab, die Versicherungen wollen nicht zahlen, weil ich nicht transsexuell genug bin, und so bleibt mir nur meine Entrüstung über soviel Stumpfsinnigkeit und Wände, die es eigentlich nicht bräuchte. Wir wollen doch alle nur glücklich werden, oder? Ich frage mich, warum man uns dann so viele Steine in den Weg, der ohnehin schon nicht einfach ist, legen muss…“ So hatte Liam mir noch vor etwas über einem Jahr geschrieben. Nun soll es endlich soweit sein.
Wovon träumst Du Liam?
„Eigentlich habe ich fast alle meine Träume erfüllt … ich wollte einen Job, der mir Spaß und keine Probleme macht, eine stinknormale Beziehung, die auch die schweren Zeiten tragen kann, Freunde, die immer da sind … das habe ich alles. Und in 3 Wochen hab ich auch die Mastektomie … Mehr kann man sich fast nicht wünschen. Jetzt will ich nur noch reisen und irgendwann einen Hund haben.
Und wenn ich ganz verrückt träume, dann sitz ich irgendwann an einer Küste von Irland auf der Bank vor meinem Cottage, mit Chrissi neben mir, Hund, Pferd um uns herum…. und ich muss nicht mehr soviel arbeiten, damit ich das alles genießen kann.“
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