Travemünde, im November 2014
„Papa ich kann nicht mehr.“ „Na du bist ja ein Mausibär.“
Lena nimmt ihren Sohn auf den Arm und schnappt sich das Laufrad. „Es gab einen einzigen Grund, der mich fast davon abgehalten hätte, den Schritt zu gehen. Und das ist mein Kleiner. Ich hatte die Hormone schon und hätte sie jederzeit wieder abgesetzt, weil ich Angst um ihn hatte: „Was passiert mit meinem Kind, wenn ich das tue?“ Das war meine größte Sorge. Wenn er irgendwie Probleme bekommen hätte, in der KiTa oder so, hätte ich sofort aufgehört damit.“
Wir sind auf einem großen Spielplatz am Strand von Travemünde angekommen. Lennard läuft los.
“Papa, Seilbahn!“ Lena lächelt: „Er sagt immer noch Papa zu mir. Ich weiß auch gar nicht, wie und wann ich ihm das am besten sagen soll.“
Wenn Lena ihren Kleinen aus der Kita abholt, rufen die anderen Kinder „Deine Mama ist da“. Er antwortet: „Das ist mein Papa!“
Viel Zeit gab es noch nicht, darüber zu reden, ihn daran zu gewöhnen, „Bei mir ging das alles ruckizucki. Wo andere sich mit der Kasse streiten, weil sie es nicht einsehen, noch ein Gutachten anzubringen, habe ich denen einfach besorgt, was sie haben wollten und gut war. Ich hab nie rumgeheult und auf meinen Rechten bestanden. Bringt doch nichts, sich aufzuregen.“ „Ich hatte aber auch Glück mit meiner Krankenkasse,“ setzt Lena hinzu und gibt mir die Kontaktdaten, für den Fall, dass wir wechseln wollen.
Getroffen hatten wir uns vor ihrer Wohnung in Lübeck und fuhren von dort hintereinander her an ihren Hausstrand. Lennard kommt immer mal wieder bei uns vorbei, spielt und rutscht und schaukelt aber die meiste Zeit und wir können uns unterhalten.
Es ist schön hier in der Herbstsonne, eine ganz besondere Stimmung. „Im Sommer sind wir immer Scharbeutz. Hier in Travemünde wird ja der ganze Mist angespült. Aber jetzt um die Jahreszeit kommen wir oft hierher, ist ja nicht weit.“
Als Kind war Lena häufig an diesem Abschnitt der Ostsee. Ihre Großeltern hatten hier ihr Segelboot liegen und nahmen Lena mit zu Ausflügen. „Da hinten bin ich immer mit meinem Schlauchboot langgetüddelt.
Lena holt etwas aus ihrem Rucksack: einen kleinen Stoffbären. „Meine Mutter hatte einen ganz besonderen Beruf. Sie war Bärenmacherin. Dieser ist der letzte, den sie vor ihrem Tod gemacht hat.“
Als Lenas Mutter an Krebs erkrankte, kündigte Lena ihren Job als Leitende Angestellte. „Von einem Tag auf den anderen. Das fette Auto und der ganze Kram war mir nicht mehr wichtig. Ich wollte bei meiner Mutter sein und sie pflegen.“
Lenas Mutter nahm sie immer, wie sie war, hat sie bei allem unterstützt, was sie tat. „Das wichtigste war ihr, dass ich glücklich bin. Mit meinem Frausein hatte sie kein Problem.“
Auch Lenas Geschwister akzeptieren sie so, wie sie ist. „Mein Stiefvater ist eher so der sachliche Typ, aber der kommt schon auch zurecht damit.“ „Ablehnung wirst du hier nicht erfahren“, meinte er, aber tu was dafür, dass es dir besser geht.“
Lennard möchte jetzt weiter. Langsam gehen wir die Uferpromenade entlang.
„Meine Oma und mein Opa haben meinen Schritt nie akzeptiert. Als ich ihnen zum ersten Mal davon Frausein erzählte, fragte mich meine Oma, ob es denn keine Tabletten dagegen gäbe. Sie weigert sich auch bis heute, mich mit meinem Frauennamen anzureden.“ Schon mit sieben Jahren wusste Lena, dass „etwas nicht stimmt“. „Ich hatte nur Mädchen als Freundinnen, mit Jungs hat das nicht funktioniert. Dann das übliche eben: Zugang zum Internet, Seiten gefunden, die mir zeigten, was los ist und so weiter. Irgendwann funktionierte das Verstecken nicht mehr.“
Es war im Juni 2013 als Lena beschloss, ihren Hausarzt einzuweihen. „Der war sofort auf meiner Seite und brachte alles auf den Weg. Eigentlich war er da schon in Rente, arbeitete aber ab und zu noch als Vertretung in der Praxis. Er hatte unsere ganze Familie seit vielen Jahren begleitet. Die Arzthelferin kannten wir schon von ganz früher: Sie war lange Zeit unsere Nachbarin. Es war gut, jemanden an meiner Seite zu haben, der mir vertraut war.“
Ihrem Arzt hat es Lena zu verdanken, dass alles so schnell ging. „Er überwies mich zu guten Fachärzten, die kannten sich alle untereinander und stimmten sich ab. Den üblichen Spießroutenlauf hatte ich nicht. Innerhalb eines halben Jahres hatte ich alles was ich brauchte.“ Lena arbeitete die notwendigen Schritte nach einem Plan ab.
Einen der Arzttermine beschreibt sie mir ausführlicher: Für ihr Gutachten musste Lena in die Praxis für Sexualmedizin von Dr. Bosinski in Kiel. „Bevor der mir seinen riesigen Fragebogen gab, hat er mich gleich mal eingenordet: Sie werden niemals eine echte Frau sein. Sie werden niemals einen Mann finden, niemals heiraten ….“ Lena bestand dennoch den Test, den sie als Grundlage für ihre Namens- und Personenstandsänderung benötigte.
Nicht alles lief so glatt. Auch bei Lena gab es die bekannten Nebenwirkungen: „Ich hatte eine ganz schlimme Zeit mit Depressionen. Aber das ging nicht lange. Jetzt bin ich einfach glücklich mit mir so wie ich bin. Früher war ich ein echter Testosteronbeutel. Seitdem ich die Hormone nehme, muss ich nur den richtigen Film sehen und kann heulen wie ein Schlosshund. Das ist echt bombe!“
„Viele sagen, man sieht mir den Mann überhaupt nicht mehr an. Ich kann das nicht beurteilen. Aber sicher ist: wenn ich den Mund aufmache, ist alles klar. Die Stimme werde ich mir irgendwann operieren lassen.“
Viele transidente Frauen arbeiten jahrelang mit Logopäden um zu lernen ein paar Oktaven höher zu kommen. Lena möchte das auch versuchen , aber: „Zum Verstellen der Stimme habe ich keine Lust. Das ist höllenanstrengend. Und ich will mich nicht anhören, als wenn mir jemand mit nem Löffel auf die Eier kloppt.“
Die Außenwirkung ist Lena wichtig. „Mein oberstes Gebot bei dem allen war immer: Es muss gut aussehen! Man kann ja nicht einfach irgendwie rumlaufen! Gut anziehen und ästhetisch muss sein!“
Manchmal führt das zu schwierigen Situationen. Zum Beispiel vor ein paar Wochen, als Lennard unbedingt ins Schwimmbad wollte. Lena stellte sich im Bikini vor den Spiegel – und beschloss nicht mitzukommen. „Aber dann fragte er wieder und wieder. Ich wollte ihm das nicht verwehren.“ Lena lächelt: „Es hat wohl einen Hauch von Ignoranz, wenn ich das den Leuten antue. Aber was bleibt, wenn ich jetzt kneife?“
„Wie komme ich an, wie werde ich wahrgenommen?“ Fragen, die sie durch den Tag begleiten. „Wird das Nachdenken irgendwann aufhören? Ich weiß es nicht.“
Lennard läuft mal vor, mal hinter uns. Kommt immer mal wieder zum Kuscheln.
Bei ihrer damaligen Freundin und Mutter ihres Sohnes hatte Lena sich im Mai 2013 vor ihrem Arztbesuch geoutet. „Als ich die Praxis betrat, war das das Ende unserer Beziehung, das hatte sie mir vorher gesagt und so kam es dann auch. Aber sie hat mir weiter zur Seite gestanden und mir geholfen, die ersten Schritte in mein Leben als Frau zu gehen. Die ersten Male, die ich als Frau in der Öffentlichkeit unterwegs war, waren für mich die Hölle. Meine Freundin gab mir die Kraft dafür. Sie nahm das alles ganz cool. Mit ihr habe ich auch gelernt über bestimmte Situationen lachen zu können.“ Lena ist es ganz wichtig, dass ich schreibe, wie dankbar sie für diese Unterstützung ist. „Danke, dass es Dich gibt“, möchte Lena ihr sagen.
Lennard bleibt steht und ruft mitten auf der Promenade nach Lena: „Paaaaaapaaaaa!“ Es mag wohl eine dieser „bestimmten Situationen“ sein, als sich mehr als einer der Spaziergänger umdreht, um sich Lena nochmal genauer anzusehen. „Heute feier ich sowas. Ich winke auch gerne mal zurück, wenn sich einer den Hals bricht.“, kommentiert Lena trocken.
Die meisten von Lenas Freunden kommen nicht aus der „Szene“, wie sie es nennt. „Ich bin gerne mit „normalen“ Menschen zusammen. Ich möchte mich auch über andere Themen unterhalten, als über geschlechtsangleichende OP, Depressionen, Brustvergrößerung….“
Die Kehrseite: „Wenn mir jemand, der mit dem Trans-Thema nichts zu tun hat, sagt, dass er mich für das, was ich durchmache, bewundert, weiß er eigentlich gar nicht, wovon er redet. Das will er auch gar nicht. Echtes Interesse ist ganz selten.“
Kaum einer nimmt sich wirklich Zeit zum Nachfragen, Zuhören, Verstehen. Was wünschst du dir Lena? „Echtes Interesse am anderen. Ich bin halt in einer liebevollen Familie aufgewachsen. Da ging es viel um Nächstenliebe.“
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