Düsseldorf im Februar 2015
An einem der Tische im Café Schwan in Düsseldorf sitzen drei Frauen vor ihrem Latte Macchiato. Es sieht nach einem fröhlichen Kaffeeklatsch aus. An ihnen gehe ich vorbei: Ich bin auf der Suche nach Hanna. Hinter mir ruft eine der drei meinen Namen. Es ist tatsächlich Hanna, die bis vor kurzem noch Holger hieß.
Zusammen mit ihrer Frau Renate ist sie heute aus der Eifel nach Düsseldorf gekommen, um eine Freundin zu treffen. Und um sich mit mir für Max ist Marie zu unterhalten.
Als Renate mich begrüßt, höre ich einen vertrauten Dialekt: Sie kommt ursprünglich aus Heidelberg. Dort haben sich Hanna und Renate auch kennen gelernt. Hanna machte in Speyer eine Ausbildung zum Restaurantfachmann „Irgendwann ertönte dann aber der Ruf der Heimat,“ sagt Hanna, die ursprünglich aus Bonn kommt“Wir sind dann in die Eifel gezogen. Das war eigentlich verrückt. Ich bin nämlich ein echtes Sonnenkind! In der Eifel liebe ich die Landschaft aber: das Wetter…! Das geht wirklich gar nicht.“ Heute leben Hanna und Renate immer noch in Kall , einem kleinen Ort in der Eifel.
Seit etwa einem Jahr ist in ihrem Leben nichts mehr, wie es einmal war. Seit zwei Monaten ist Hanna in Hormontherapie. Etwa zehn Monate zuvor beschloss Hanna diesen Schritt zu gehen. „Vorher war eine ganz schlimme Zeit. Auch in unserer Beziehung. Wir haben nur noch gestritten. Es war ganz viel Wut in mir. Eines Tages bin ich so explodiert, dass ich Angst vor mir selber hatte, da habe ich mir gesagt: „Jetzt musst du dich endlich dem stellen, was in dir ist!““
Hanna wird im Sommer 50. Renate ist 20 Jahre älter als Hanna. Seit 19 Jahren sind sie ein Paar. „Ich glaube, wenn der Altersunterschied nicht so groß wäre, würde es mir wesentlich schwerer fallen das alles zu akzeptieren.“ Hanna nickt: Ja, dann wäre alles viel schwerer.
„Ich weiß, ich kann mir ihrer nicht sicher sein“, sagt Hanna. „Und ich weiß, dass ich mit ihr einen Sechser im Lotto gewonnen habe.“
Renate legt ihre Hand auf Hannas Hände. „Ich mit Dir nur ’nen Fünfer“, sagt sie und lacht laut.
„Unsere Beziehung war vorher wirklich in Gefahr. Seit ihrem Outing ist Hanna wieder liebevoll, so wie ich ihn kennengelernt habe.“ Renate stutzt. „Ja, mit den Personalpronomen habe ich noch so meine Probleme.“ Sie lacht wieder.
Ich fange an zu fotografieren. Renate rückt Hanna erst mal den Schal zurecht. „Ich war ein Mann, der sich darüber aufregte, dass es für Männer nur langweilige Klamotten gibt. Ich weiß noch, als ich einmal mit Renate shoppen war. Da hing eine Stola und ich sagte zu Renate: die musst du haben.“ „Aber ich wollte die überhaupt nicht, wirft Renate ein. „Ja“, sagt Hanna, „ich weiß. Aber ich wollte die haben.“ „Ich habe auch immer Schmuck von ihm bekommen, der gefiel mir nie. Heute trägt Hanna ihn selber.“
Sehr lange hat Hanna gebraucht bis sie ihre Transidentität akzeptieren konnte. „Ich habe das lange von mir gestoßen. Da lag meine Zweitfrisur schon lange zu Hause. Aber ich habe sie nie getragen.“ Hanna sagt, dass das Schlimmste das interne Outing war, vor sich selber anzuerkennen, dass etwas ganz Grundlegendes nicht stimmt. „Das war überhaupt das Schlimmste, was ich in meinem ganzen Leben erlebt habe. Die ganze Vergangenheit erklärte sich plötzlich. Und alles Geschehene, was sich oftmals so falsch angefühlt hatte, war endlich stimmig! Und auch heute fallen immer noch jeden Tag Puzzlesteine an den richtigen Platz.“
Es war der 4. Februar 2014 als Hanna sich offiziell outete. An dem Tag ging sie zum ersten Mal als Frau auf die Straße „Danach habe ich erst mal zwei Tage lang vor lauter Glück geweint!“
Renate feiert diesen Jahrestag mit ihr: „Ja! Vor wenigen Tagen ist es ein Jahr her gewesen. Da habe ich noch auf Facebook gepostet, dass Hanna heute ihren Geburtstag feiert. Das hat einige dann doch verwirrt. Sie ist nämlich Löwe und wurde im August geboren. Du sitzt hier mit drei Löwen am Tisch.“
Noch vor einem halben Jahr sagte Renate, dass sie zwar zu Hanna stehen wolle, aber niemals im Leben mit Hans als Frau auf die Straße gehen werde. „Als sie es irgendwann doch tat“, berichtet Hanna, „war sie diejenige die aufgepasst hat. Sie war mein persönlicher Wachhund. Wenn jemand länger geguckt hat als notwendig, ging sie zu dem hin und sagte „Gucken Sie nicht so!“ oder „Ist was?“
Hanna arbeitet in einem Restaurant in dem kleinen Ort in der Eifel, in der Nähe ihres Wohnortes. „Auf Facebook gibt es nur noch mein weibliches Profil. Dort bin ich auch mit meinem Arbeitgeber befreundet. Er weiß es also auch. Aber er hat zu große Angst vor den eventuellen Reaktionen der Gäste “ Wenn Hanna arbeiten geht, muss sie das in ihrer Männer Kleidung tun. „Jeder im Ort weiß es! Nur mein Chef sträubt sich eben. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte.“ Noch trägt Hanna in ihrem Personalausweis den männlichen Namen. Die Personenstandsänderung ist noch nicht durch. „Wenn ich mich um einen neuen Job bemühen wollte, könnte ich das erst, wenn ich meinen weiblichen Namen offiziell tragen kann. Aber die Infrastruktur in der Eifel ist ohnehin sehr dünn. Und dann noch als Transfrau bewerben…“
„Jeden Tag legt sich etwas wie eine schwarze Glocke über mich, wenn ich mich für die Arbeit als Mann verkleiden muss. Ich träume davon, als der Mensch arbeiten zu können der ich bin. Davon, keine Angst um meinen Job haben zu müssen. Und davon den richtigen Namen im Personalausweis stehen zu haben.“
Als Hanna sich entschied, sich zu ihrem Frausein zu bekennen, hatte sie große Angst, alles zu verlieren. „Du bist so schnell einsam als transidenter Mensch. Dabei verändere ich mich doch gar nicht.“ „Im Gegenteil“, sagt Renate,“ jetzt bist du endlich wieder du.“
Nicht alle in der Familie können Hannas Entscheidung mittragen. „Da ist noch ganz viel Angst zu spüren: Was werden die Nachbarn sagen?“ Hanna sieht traurig aus, als sie das sagt. Kurz danach huscht aber wieder ein Lächeln über ihr Gesicht: „Aber die Enkeltochter! Wir beide gehen gemeinsam shoppen und haben schon viel Spaß miteinander gehabt.“
Was da in Hanna vorging und heute in ihr vorgeht, kann selbst Renate nicht verstehen. „Auf Verständnis können wir transidenten Menschen nicht hoffen. Wirklich verstehen kann dich nur jemand der selber betroffen ist.“ Renate nickt: das stimmt. „Verstehen kann ich es wirklich überhaupt nicht. Aber ich kann es akzeptieren. Ich sehe ja, was das mit Hanna macht. Als ich Hanna vor kurzem fragte: bist du jetzt glücklich? Antwortete sie „Ja!“ aus ganzer Seele.“
Hanna und ich gehen nach Draußen, eine Runde am Rhein spazieren.
„Akzeptanz ist das Größte, was wir uns erhoffen können“, sagt Hanna und sieht mich an: „Und dann gibt es so etwas wie deinen Blog! Fast zeitgleich mit meinem Outing habe ich den gefunden. Ich habe den Eintrag über deine Tochter gelesen und hatte Tränen in den Augen.“
Damals schrieb Hanna mir eine Mail, die wiederum mich schlucken ließ:
„Dein Beitrag „Max ist Marie“ hat mich sehr getroffen, und zwar mitten ins Herz!!!
Dies hatte ich dir auch schon als Kommentar unter deinem Beitrag hinterlassen.
Deine Worte und deine Fotos haben mich sehr berührt!
Ich hatte sofort das Gefühl: Davon möchte ich ein Teil sein!!!“
Zum Abschluss gebe ich Hanna ihr Polaroid, damit sie mir, wie alle, die ich portraitieren darf, etwas darauf schreibt, das mit „Ich“ beginnt. Sie sieht sich das Foto einige Zeit lang ungläubig an: „Wenn ich mich im Spiegel ansehen, sehe ich immer noch den Mann. Aber hier auf dem Foto: wo ist der?“
Als wir uns verabschieden, nimmt Hanna mich in den Arm: „Bei Umarmungen stand ich früher immer neben mir. Jetzt fühlen Sie sich richtig und gut an.“
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