Potsdam, im September 2014
„Wenn Du über mich schreibst, verwendest Du auch meinen Namen, oder? Dann kannst Du gleich berichten, wie es dazu kam: Einen Doppelnamen mit Bindestrich, der aus einem männlichen und weiblichen Teil besteht, genehmigte bis dahin noch kein Gericht. Ich konnte sie durch mein authentisches Auftreten überzeugen. Damit, dass erst Felix leben mußte, damit es Felicia jetzt kann. Dass mein Leben als Mann ein Teil von mir war und ich diese Zeit nicht einfach wegwerfen kann. Ohne diese Zeit hätte es mich nie so gegeben. Dann haben sie ihn genehmigt.“ Felicia, aus Felix geboren. „Meine Freunde nennen mich Felicia.“
„Ich habe mein Leben als Mann geliebt. Wenn ich mir Bilder von damals anschaue: da sehe ich auch glücklich aus.“ Ein positiver Rückblick auf das „Leben im falschen Geschlecht“. So etwas hatte ich in meinen bisherigen Gesprächen mit transidenten Menschen nicht gehört. Grinsend sagt sie weiter: „Und jetzt liebe ich mein Leben als Frau. Ich liebe es, in Frauenklamotten durch die Straßen zu gehen und am liebsten würde ich mich fünfmal am Tag umziehen.“
Felicia und ich schlendern durch Potsdams Holländisches Viertel, die Sonne scheint. Hübsch ist es hier, viele kleine Cafes mit voll besetzten Tischen und Stühlen auf den Bürgersteigen. Felicia bahnt sich ihren Weg, sie schaut nicht nach rechts oder links. Es wird ein fast zweistündiger Spaziergang, bei dem wir immer wieder stehen bleiben, weil Felicia etwas neues aus ihrem Leben einfällt, das nicht im Gehen erzählt werden kann, weil es gestisch dargestellt werden muss. Begleitet von herrlichem Lachen.
„Ich habe mich nie angepasst, hab immer das gemacht, was ich für richtig hielt,“ ist einer der ersten Sätze, die ich von Felicia höre. „Früher, in der DDR, habe ich Angehörige von Gefangenen nach Bautzen gebracht, damit die ihre Verwandten besuchen konnten.“
Felicias Kindheit war geprägt von Geborgenheit und elterlicher Liebe.
„Und doch war ich immer das Sorgenkind der Familie. Das fing schon als Säugling an, da wäre ich wegen Ernährungsstörung fast gestorben. Ich habe mich einfach geweigert zu essen. Sie hatten mich schon Nottaufen lassen. Ich bin gerade nochmal davon gekommen.“
Felicia wächst in einer Pastorenfamilie in der DDR auf. Schon früh in ihrem Leben wurde sie gedemütigt: In der Schule, weil sie als Folge der Krankheiten in der Kindheit schwächer war als andere; in der Berufsschulzeit, weil sie den vorgegebenen DDR Organisationen nicht angehörte. „Ich bin daran gewöhnt seelisch verletzt zu werden. Heute kann mich nichts mehr umhauen.“
Die Wende war Felicias Rettung.“ Der christliche Glaube war in der DDR verpönt. Und ich war gläubig, hatte auch meine Bibel auf dem Schrank im Lehrlingswohnheim liegen.“
In der Klasse zeichnet sich Felicia durch „besondere Ideen“ aus. Ein Stück Anerkennung, um aus der Isolation zu kommen?
Einmal nutzt sie den Tafeldienst in der Pause, um die Aufgaben von der anstehenden Arbeit zu verpetzen – der Lehrer hatte sie auf dem Pult liegen lassen.
In einer anderen Klassenarbeit verkabelte Felicia eine Wechselsprechanlage und verlegte sie im Klassenraum, um mit einem schlauen Freund am anderen Ende vernetzt zu sein. „Ich habe das Internet erfunden“, grinst Felicia. „Das Problem bei dieser Erfindung war nur: man war immer „online“ und so redete der Freund lustig weiter, obwohl mein Lehrer im weissen Kittel hinter mir stand. Ich drückte mir die Box an den Bauch, um nicht aufzufallen. Ob ich Bauchredner geworden sei, fragte der mich dann.“
Mit der Jungswelt kann Felicia nicht viel anfangen. „Ich blieb in meiner Welt mit mir, habe mir aus Brettern eine Bude aus Holz gebaut. Das war eine coole Sache. Aber als ich die Bude mit Bildern an der Wand, Teppichboden und Pflanzen so richtig hübsch machte, fanden das die anderen Jungs nicht so spannend. Ganz blöd wurde es dann, als ich sie bat die Schuhe auszuziehen, damit die Bude nicht dreckig wird.“ Felicia lacht ihr fröhliches, lautes Lachen.
Nach der Schule macht Felicia eine Ausbildung zum Landmaschinenschlosser. Einerseits eine gute Zeit, denn Felicia war auch hier beliebt für ihre Ideen.
„Wir durften ja kein Westfernsehen schauen. Die West-Fernsehsender waren auf den Geräten in der DDR gesperrt. Da habe ich einfach eine Gabel an die Sensortasten gelegt, zwei TV Kanäle zugleich aktiviert und mit einer weiteren Gabel gedreht bis der Westsender da war. Dann ging’s. Dem Heimerzieher hatte ich ein Emaille Kehrblech von außen an die Klinke seines Zimmer gehängt, was er natürlich nicht wusste. Als er die Klinke drückte, schepperte das Blech beim Aufschlagen auf die Fliesen donnert und wir waren vorgewarnt. Dann haben wir blitzschnell die Gabel entfernt und der DDR Sender lief, als der Erzieher reinkam. Wir ganz unschuldig. Wie gebannt saßen wir vor dem DDR Fernsehen, als der Erzieher wieder draußen war, wieder Gabel rein und ZDF weiter geschaut.“
Wir bleiben stehen, ich mache ein paar Bilder von Felicia. Sie grinst: „Ist da jetzt meine schiefe Nase mit auf dem Bild? Als Junge hab ich öfter mal eine drauf bekommen. Ich wollte mich nämlich nicht prügeln, da rannte ich immer zu meiner großen Schwester und versteckte mich hinter ihr. Ich passe einfach nicht in diese Welt.“
Es gab sie, diese schlimmen Erlebnisse, die Angriffe, besonders in der Zeit im Lehrlingsheim: „Nicht genug, dass ich Pastorensohn war und mich zum Christentum bekannte. Obendrein war ich auch nicht bei der Freien Deutschen Jugend und auch nicht bei der Gesellschaft Sport Technik„.
Das führte dazu, dass unsere Gruppe bei sozialistisch kollektiven Auszeichnungen leer ausging.
Eines Tages wird Felicia von Mitlehrlingen getreten, bis sie auf dem Boden liegt; sie bespucken sie und beschimpfen sie als Christenschwein. „Gewehrt habe ich mich wie in der Schule nicht!“
Felicia hat Glück: Die Heimleiterin, Parteisekretärin des Betriebes, wird Zeugin des Geschehens und greift ein: „Mit Nazis habe ich nichts am Hut. Ab in mein Büro!“
Zu jeder Berufsausbildung gehörte in der DDR die militärische Ausbildung durch die GST. „Da musste man scharf schießen mit MG Feuer. Ich traf nur die Steine.“
Am Ende der Ausbildung wurde die Eignung für die Nationale Volksarmee festgestellt.
Für Felicia ist klar, dass der Militärdienst ihr Untergang wäre. „Da wäre ich kaputt gegangen.“ Für eine Wehrdienstverweigerung wäre sie im Gefängnis gelandet. „Das hätte ich auch nicht überlebt.“ Felicia hat großes Glück. Für die Musterung untersucht sie ein Lungenarzt, der im KZ gesessen hatte. „Wir haben uns viel über Faschismus, Hitlerjugend und meine Erfahrung aus dem GST Lager unterhalten und hatten beide die gleiche Meinung. Das passte einfach. Der Arzt war wie ich Kriegsgegner und wusste, was mir widerfahren würde, wenn ich mich der DDR Überzeugung widersetze. Er hat es tatsächlich geschafft, dass ich ausgemustert wurde, das gab es eigentlich gar nicht.“
Nach der Ausbildung arbeitet Felicia als Berufskraftfahrer in Potsdam. Sie lernt ihre erste Frau kennen, die Zwillinge kommen auf die Welt. Ihre Frau kann sich aus gesundheitlichen Gründen nicht um die Kinder kümmern. „Morgens bin ich aufgestanden, hab die Kinder fertig gemacht, bin meine erste Tour gefahren und hab vor der zweiten nochmal einen Stopp Zuhause eingelegt, um die Windeln zu wechseln.“
Bald sucht Felicia eine andere Arbeit, um nicht mehr unterwegs sein zu müssen und bei den Kleinen sein zu können. So arbeitet sie ein paar Monate als Küster in der Kirche und auf dem Friedhof als Totengräber. „Das war eine traurige Arbeit. Irgendwie aber auch schön. Wir haben die Gräber nochmal hübsch gemacht für die letzte Ruhe.“
Ihre Kinder nahm Felicia mit zur Arbeit. Felicia steht vor mir auf dem Gehweg und tut so, als grabe sie ein Loch. Sie lacht sich kaputt. „Das musst du Dir mal vorstellen, hier: Laufstall! da: Papa, der sich immer weiter in den Boden buddelt bis nur noch der Kopf zu sehen ist.“ „Nette Gesellschaft“ hatte Felicia immer von den alten Damen auf dem Friedhof. „Wenn ich mal kurz weg musste, hatte ich immer jemanden, der ein Auge auf die Kinder hatte.“
Nur ein kleines Stückchen gehen wir weiter, da bleibt Felicia wieder stehen und biegt sich vor Lachen. „Das muss ich dir unbedingt noch erzählen: einmal konnte ich wegen der Familie tagsüber nicht arbeiten, aber es musste unbedingt ein Grab bis zum nächsten Tag ausgehoben werden. Also habe ich das nachts mit Taschenlampe gemacht. Plötzlich kam die Polizei vorbei; die dachten, ich will die Toten ausbuddeln und das Zahngold verkaufen. Hat ’ne Weile gedauert, bis sie mir geglaubt haben.“
Das Leben in der DDR, mit kranker Frau und kleinen Kindern ist für Felicia sehr schwer. Sie verarbeitet diese Zeit indem sie Geschichten schreibt. „In denen kam auch das Regime nicht gut weg. Irgendwann gab ich die Geschichten einem Kollegen zum Lesen. Der hat mich für verrückt erklärt. „Du musst das sofort verbrennen, die Stasi macht Dich fertig, wenn sie das finden.“ Recht hatte er natürlich. Ich hab das dann tatsächlich alles verbrannt.“
Heute schreibt Felicia wieder. „Da lachen ja die Hühner“. Geschichten über ihr Leben.
Die Fortsetzung wird heißen: „Wie der Hahn zur Henne wird„. Schön, wie man alleine in diesem Tital Felicias Humor erkennen kann.
Viel gibt es in ihren autobiografisch inspirierten Geschichten zu erzählen. Von ihren Frauen – „Ich habe Frauen immer geliebt.“ Von den vielen verschiedenen Jobs.
Heute arbeitet Felicia in ihrem Traumberuf. Felicia ist Erzieherin in einer KiTa, in ein paar Wochen allerdings läuft ihr befristeter Vertrag aus. In zahlreichen KiTas hat sie sich beworben. Die Absage versteckt sich in Worten wie: „…wir haben hier auch viele muslimische Eltern…“.
„Schon nach der Wende habe ich als Erzieherin gearbeitet. Damals noch ohne Ausbildung. Das war einfach meine Berufung.“
Die Leiterin der KiTa, in der Felicia damals arbeitete, sah diese Berufung auch; sie empfahl eine Fortbildung, damit Felicia Chancen hätte, in ihrem Traumberuf arbeiten zu können. Die Kostenübernahme für eine Umschulung aber wurde Felicia von der LVA verweigert. Also nahm Felicia, wieder einmal, ihr Leben selber in die Hand, und machte auf Anraten eines Mitarbeiters des Arbeitsamtes eine Fachausbildung in Berlin.
„Ich, die ich früher immer versetzungsgefährdet war, habe hier mit Einsen und Zweien abgeschlossen. In der Klasse habe ich auf der Streberseite gesessen.“
Eines der Themen im letzten Jahr der Ausbildung war „Devianz“. „Da hatte ich auf einmal einen Namen für das, was ich tat: in Männerklamotten, aber mit Frauenwollstrumpfhosen und mit Nagellack aufzutauchen, war ja sehr deviant.“ Lachen. Dann ernst: „Die, die mit mir auf der Streberseite saßen, fanden das spannend. Die haben mir sogar alten Nagellack von ihren Müttern mitgebracht. Mit denen von der anderen Seite bekam ich echte Probleme.“
Alles lief so gut, Felicia war glücklich verheiratet, als 2011 plötzlich eine Zeit der „totalen Haltlosigkeit“ über sie herein brach. Das war die Zeit, in der Felicia ihr Frausein immer mehr lebte. „Männerfrisur und Frauenklamotten. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wo ich hingehöre und was ich will.“ Felicia bricht zusammen.
„Ich wollte nicht so hilflos sein. Ich musste da unbedingt raus. Bevor ich aktiv werden konnte, musste ich mich aber erstmal ein paar Tage so richtig ausheulen. Das mache ich immer so.“
Aus diesen Tagen geht Felicia mit der Klarheit heraus, dass sie einen Psychologen aufsuchen muss, aber nicht etwa, weil sie psychologische Beratung brauchte: Im Internet hatte sie Berichte gefunden, die ihre Situation spiegelten und über ein Hormon gelesen, das Frauen bekommen, die in einem Männerkörper geboren wurden. Voraussetzung für das notwendige Rezept ist eine psychologische psychologische Begleitung über 18 Monate.
Die erste Sitzung beginnt Felicia mit den Worten: „1. ich brauche keinen Psychologen, 2. ich brauche Gynokadin, 3. wir sitzen die Stunden hier ab, bis sie mir das Gutachten für den Arzt schreiben können.“
Ein paar Wochen lang nimmt Felicia ihre Stunden wahr. „Das hat mich viel zu viel Zeit gekostet! „Es reicht!,“ habe ich ihr gesagt. „Ich muss mich jedes Mal von der Arbeit frei schaufeln, zahle hier jedes Mal 3€ Parkgebühr. Und das alles, obwohl ich schon lange weiß, was ich will. Ich möchte jetzt das Papierchen haben!“
Die Antwort der Psycholgin ist ernüchternd: „Ich habe keine Zeit, Gutachten zu schreiben.“ Wie immer in ihrem Leben, hilft Felicia sich selber: „Ich rief eine Transkumpeline an, die hat mir Ihr Gutachten rübergereicht, das habe ich abgeschrieben und mir die Unterschrift abgeholt.“
Endlich die weiblichen Hormone! „Das war 01.07 2013, so ein Datum merkt man sich.“
Mit den weiblichen Hormonen kam Felicia in eine zweite Pubertät, den Hormonen ausgeliefert. „Wie eine Jugendliche habe ich alles ausprobiert, auch jeden Kleiderstil. Ich lief in kurzen Kleidchen durch die Gegend. Das sah so schräg aus. Jetzt weiß ich, was mir steht.“
Felicia, was war der glücklichste Moment in Deinem Leben?
„Die Ausmusterung vom Wehrdienst. Die Geburt meiner Kinder. Ich habe sieben Kinder, bei vieren von ihnen durfte ich die Geburt miterleben. Die Hochzeit mit Kornelia, meiner zweiten Frau. Der Moment, als ich mein Examen als Erzieherin in Händen hielt. Und jetzt jeder Tag, jede Stunde, jede Minute und Sekunde, die ich so intensiv wie möglich als Frau leben darf.“
Zurück in Hamburg erreicht mich ein Päckchen von Felicia. Darin ein Exemplar ihres Buches.
„Der Sinn des Lebens könnte sein, sich mit den Hühnern zu freuen, weil die Menschheit auf ihrer kleinen Oase Erde ein großer Hühnerhof ist„, so schreibt Felicia in ihrer Einleitung.
Danke, Felicia!
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