Flensburg im Mai 2014
„Helmi, darf ich das denn überhaupt schreiben?“, habe ich sie gefragt. „Aber natürlich darfst Du das schreiben. Was Du nicht scheiben darfst, erzähle ich Dir einfach nicht.“
Einige Tage nach meinem Besuch bei Helmi in Flensburg sitze ich Zuhause und versuche Worte zu finden für diese Begegnung.
Dieser Moment an der Tür, in dem wir uns zum ersten Mal sehen, ich ihr zur Begrüßung die Hand gebe und wir uns dann doch lieber in den Arm nehmen. „Ach, komm mal her du!“ Diese Herzlichkeit.
Wir sitzen in ihrem Wohnzimmer. Ich sehe sie vor mir, umgeben von all den Dingen, die ihr wichtig sind. Ihre Computer, von denen während unseres Gespräches alle paar Minuten Facebooks „Pling“ für neue Nachrichten ertönt. Fotos. Alte Puppen. Die Affen. Ihr Schmuck, Kosmetik, ihre Perücken, Nylonstrümpfe. Und: die Funkanlage. „Die ist gar nicht angeschlossen. Das mache ich bald wieder, hab ich aber jetzt gar keine Zeit für.“
Ihre Stimme ist mir im Ohr – und ihr Lachen. Denn gelacht haben wir fast ständig in den zwei Stunden, die wir zusammen verbracht haben. Auch noch, als es eigentlich sehr ernst wurde.
Helmi wurde 1947 ins Flensburg als zweiter Sohn ihrer Eltern geboren. Fünf Jahre später kam ihre Schwester zur Welt. Ihre Schwester, die Helmi schon mit acht oder neun Jahren beneidete, weil sie keinen Penis hatte.
Als Kind hat Helmi nur mit Mädchen gespielt. „Die wollten dann aber irgendwann nicht mehr. Und mit Jungs ging ja sowieso nicht.“ Fußball? Raufen? Boxen? Jungskram. Nichts für Helmi.
Gelernt hat sie dann aber doch einen „echten Männerberuf“. Nach ihrer Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur schulte sie irgendwann um auf Schlosser. Später ging sie „an Bord“, fuhr viele Jahre zur See und arbeitete als Schmierer. „Jaja, ich hab da so richtig im Maschinenraum gestanden.“
Irgendwann in diesen Jahren legte ihr Schiff auf Pago-Pago an. Beim Landgang landete Helmi „aus Versehen in einer Schwulenkneipe. Da habe ich mich sofort wohl gefühlt. Ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben so richtig Lebensfreude ausleben. Ich habe getanzt wie verrückt.“
Ihr Weg ging aber ging erstmal in eine andere Richtung. Vor nun 20 Jahren heiratete Helmi eine Frau. Für sie gab sie ihren Job auf See auf und ging zurück an Land. „Das war eine gute Beziehung. Aber Sex habe ich immer als Arbeit empfunden. Das war ganz furchtbar. Irgendwann habe ich sogar versucht meinen Penis zu massakrieren.“ Pause. „Hab ihn dann aber doch nicht abgeschnitten. Hab mich nicht getraut.“ Lachen.
Ihre Frau verlor Helmi an den Krebs. Da war Helmi 50. Die Zeit der Selbstversuche begann. „Ich hab da dann auch mit Sado-Maso rumprobiert. Das machen ja viele transidente Menschen. Vielleicht aus Selbsthass? Keine Ahnung.“
Der Wendepunkt in Helmis Leben war eine Karnevalsfeier bei Bekannten in der Nachbarschaft. Weil Helmi dafür nur einmal über die Straße zu gehen brauchte, traute sie sich dorthin in einer Verkleidung, die keine war: Als Frau und mit Perücke. „Die Perücke hab ich noch, schau mal, das war die linke da hinten auf der Kommode.“
„Ich kam da richtig gut an, habe richtig tolle Kommentare bekommen.“
Die Verwandlung war ja nur für Karneval; niemand nahm das ernst. Helmi aber warf nach dem Abend alle ihre Männerklamotten weg. Eine Freundin gab ihr aussortierte Frauensachen.
„Früher war ich ein richtiger Miesepeter. Seit diesem Tag kann ich jeden Morgen fröhlich aufwachen.“ Fotos hat Helmi für mich bereit gelegt, die sie zeigen, wie sie früher war, als sie noch nicht sie sein konnte. Sogar ihren Seefahrerausweis darf ich fotografieren. „Zu meiner Schwägerin hatte ich nach dem Tod meines Bruders den Kontakt abgebrochen. Als ich ihr vor kurzem erzählte, dass ich eine Frau bin, konnte die das gar nicht glauben. „Aber Du bist doch Motorrad gefahren. Ein richtiger Rocker warst Du!“, hat sie gesagt.“ Helmi grinst ihr verschmitztes Lächeln.
Viel Kraft kosteten Helmi die ganzen ersten Male. Das erste Mal als Frau Bus fahren. Das erste Mal als Frau einkaufen gehen. „Am Anfang bin ich dann immer in Läden gegangen, die weiter weg waren und wo mich keiner kannte.“ Bis ihr in einem dieser Läden eine Bekannte begegnete. „Das war ja dann noch doofer, als im eigenen Viertel gesehen zu werden. Da konnte ich dann auch wieder in meine Läden gehen.“
Eine Freundin „fand diese Frauenklamottensache spannend.“ Sie hatte die Idee, in einem Park ein Fotoshooting mit Helmi zu machen. Eine andere Freundin war dabei.
„Ich hab mich da so richtig rausgeputzt. Hab ja schon früher immer meiner Mutter ganz genau zugeschaut beim Strümpfeanziehen. An die Knubbel von den Strumpfhaltern kann ich mich noch erinnern. Die beiden haben da gemerkt. dass ich mich nicht nur verkleide, sondern dass es mir ernst ist.“
Mit der Reaktion der Freundinnen hatte Helmi nicht gerechnet.““Überleg Dir das“, haben die gesagt. „Die werden Dich ja alle für verrückt halten. Wie den Alten, der sich im Park rumtreibt.“ Da habe ich ihnen gesagt: „Entweder Ihr geht den Weg mit mir oder eben nicht.“ Den beiden habe ich die Freundschaft gekündigt.“
Heute hat Helmi Freundinnen in der Bagaluten-Gruppe, wie sie sich nennen. Dort treffen sich Frauen ab 50. „Wir haben Spaß miteinander. Gehen Eis essen. Und auch so richtig Abtanzen.“
Helmi erzählt von ihrer Personenstandsänderung. Die war am 07.11.2013. Ihr wichtigstes Dokument aus der Zeit ist ihr Ausweis und Briefe ihres Gutachters und des Gerichts. „Da stand zum ersten Mal Frau E. Das fand ich heiß.“
Dann steht sie auf und holt aus einer Schublade eine Mappe mit Unterlagen. Nun wird die Stimmung doch ein wenig gedrückt.
Gutachten ihres Therapeuten, der die geschlechtsangleichende Operation (GA OP) für sofort empfiehlt. Briefe der Krankenkasse, die auf den „gesetzlich vorgeschriebenen 18 Monaten“ besteht. „Warum?!! Worauf soll ich denn noch warten!?!“ Helmis Widerspruchsschreiben. Jetzt heißt es wieder warten.
Ihre Klinik hat Helmi sich schon ausgesucht. Nach Frankfurt möchte sie. „Ich würde das ja auch gerne in Thailand machen lassen. Dr Suporn hat einfach mehr Erfahrung. Aber ich bin auf die Krankenkasse angewiesen; ich kann das nicht selber zahlen.“
Die Rente ist knapp. Helmi bessert sie sich ein wenig mit ihrem Leierkasten auf. Den hievt sie die Treppe von ihrer Wohnung nach unten auf die Straße, dann macht sie sich mit dem Bus auf den Weg in die Innenstadt. Begleitet von Affe Charlie. „Den Leierkasten habe ich durch Zufall ganz günstig bekommen. Die einzige Auflage war, dass ich ihn nicht weiterverkaufe. Ist richtig wertvoll das Ding. Aber ich möchte ihn ja behalten.“
„Eine Freundin von mir arbeitet beim Telefondienst, um sich etwas dazu zu verdienen. Abends. Das ist anstrengend für die Stimme, man wird ja so schnell heiser, wenn man die richtige Tonlage halten will. Jetzt brauche ich erstmal Kraft für die OP. Aber danach mache ich das auch.“
Mit der Akzeptanz durch ihre Umwelt ist Helmi ganz glücklich. „Ich hatte eigentlich nie Probleme.“ Nur einmal gab es Ärger. Seit vielen Jahren hatte Helmi einen Kleingarten in einer Schrebergartenanlage. „Da kannten mich die Leute natürlich und dann fing ich auf einmal an als Frau rumzulaufen.“ Große Probleme hatte damit offensichtlich der Oppmann. „Da lag ich also bei schönem Wetter in meinem Garten. Als Nackedei und mit lackierten Finger- und Fußnägeln. Da kommt der einfach rein, sieht sich das an und geht wieder…. Ich bin ja noch nicht operiert. In der Anlage hat er ‚rum erzählt, dass ich schwul bin.“ Da musste sie den Garten aufgeben.
Wir sitzen noch ein wenig zusammen. Zum Schluss sagt Helmi: „Ich bin eigentlich ganz glücklich damit, wie das läuft. Und wenn mal nicht: Krone richten und weiter.“
Wenige Tage nach meinem Besuch bei Helmi schreibt sie mir eine Mail: „habe einen Telefonanruf von der Kasse bekommen …….. meine Akte ist nun beim Vermittlungsausschuss es kann von einer Woche bis zu etwa 3 Monaten dauern bis mein Fall und ich da zur Sprache kommen habe geheult wie ein Schloßhund. Nochmal einen oder mehr Monate warten mit offenem Ergebnis schön ist es nicht…. und noch besteht ja auch die Ablehnung für die GA OP. Also mal wieder hoffen jeden tag und nach dem Briefkasten schauen.“
Liebe Helmi, ich wünsche Dir so sehr, dass Du Deine Krone schnell wieder richten kannst.
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Du bist einen tolle Frau und ich habe Dich lieb , Deine Freundin Ute.
Das wird schon. Vom Ablauf her mag es Schwierigkeiten gegeben haben aber die Entscheidungen des MDK fallen dann wenn es ernst wird jenseits der Formalia.
Helmi,
du bist eine wunderschöne Frau!
Dein Lächeln ist umwerfend! Wie deine Offenheit auch!
Ich hoffe für dich und deine OP!
LG, Jurek
Wow, ich bin sehr beeindruckt von der Geschichte und DAUMEN HOCH für dieses Projekt! Alles Liebe für weiteres!
Ich kenne Helmi nun schon einige Jahre,wir haben viele tolle Motorrad Touren gemacht und schöne Feste/Feiern miteinander verbracht und ziehe meinen Hut vor ihr.Sie hat vieles vieles Erlebt und durchlebt bisher,kämpfe weiter so wie bisher und bleibe dir selber treu,liebe Helmi 🙂
Liebe Helmi,
ich habe mit großer Anteilnahme Deine Geschichte gelesen. Ich bin in Deinem Alter und es gibt viele Parallelen zu meinem Leben.
Ich wünsche Dir alles Gute, vor allem für die OP, die ich schon hinter mir habe. Ich war nach der OP total glücklich, endlich „dazu zu gehören“, das wirst Du sicher auch erleben.
Liebe Grüße
Maria