Berlin, im September 2014
Als ich Katharina ein paar Wochen vor meiner Reise schrieb, dass ich für „Max ist Marie“ nach Berlin kommen würde, kam ihre Antwortmail mit dem Betreff: „Katharina ist glücklich in Berlin“: „Es gibt für mich einen besonderen Ort in Berlin, von dem ich glaube, dass Du ihn unbedingt sehen solltest: das Tempelhofer Feld.“
Hier stehen wir nun also nebeneinander. Schweigend. Nehmen die Atmosphäre in uns auf. Eine riesengroße Fläche. Der Blick kann schweifen mitten in der Stadt. Katharina hat nicht zu viel versprochen: das hier ist magisch.
„Wenn ich abschalten möchte, fahre ich hierher. Das alles wollten sie kaputt machen. Beim Volksentscheid habe ich gegen die Bebauung gestimmt!“ Ein wenig bleiben wir noch stehen. Der Himmel am Horizont wird immer dunkler.
Katharina kommt gerade aus dem Urlaub: „Das war total toll: wir hatten 15 Gewitter in acht Tagen. Mit zwei Blitzeinschlägen gleich nebenan. Einer davon schlug ganz in der Nähe ins Trafohäuschen direkt neben dem Zeltplatz ein. Ein anderer in die Kiefer, die auf dem Friedhof steht, auf dem Hans Fallada beerdigt ist. Wir waren knapp fünfzig Meter davon entfernt. Das ging gerade noch mal gut.“ Grinsen. „Kennst du die Feldberger Seenplatte? Wunderschön ist es dort!“
„Schau mal, da drüben, da müssen wir hin.“ Ein Teil der Fläche ist freigegeben als Gemeinschaftsgarten. Lauter kleine Parzellen. Ohne Zäune. Bänke, Holzschilder, die anzeigen was hier angebaut wird, Hochsitze… Alles liebevoll selbst gebaut. „Hier kann man wahnsinnig toll Verstecken spielen! Manchmal war ich mit den Kindern der Chefin meiner Praktikumsstelle hier. Kinder sind sehr kreativ was Verstecke angeht. Ich habe sie öfter mal nicht gefunden.“
Für unser Gespräch suchen wir uns eine blaue Bank aus. Die Lehne besteht aus ausrangierten Skateboarden. Hinter uns im Gebüsch lautes Gezwitscher. Hübsche Vögel mit gelbem Gefieder an den Bäuchen. Wir grübeln ein wenig, was das wohl für welche sein mögen. Kommen aber beide nicht darauf.
Seit drei Jahren ist Katharina in Berlin. Hier lebt sie Ihren Traum: Sie macht eine Umschulung zur Modeschneiderin. „Das ist die erste Ausbildung, die ich mir selber ausgesucht habe!“ Während der Praktikumszeit arbeitete sie in einem wunderbaren Laden, der schöne Mieder auf Bestellung schneidert.
Der Umzug nach Berlin war einer der glücklichsten Momente in Katharinas Leben. Ihm gingen rastlose Jahre des Suchens und der Verzweiflung voraus.
„Bis zur neunten Klasse war ich in Greifswald auf der Schule. Dort wäre ich sitzen geblieben, mit den Lehrern konnte ich einfach nichts anfangen.“
Als Katharinas Opa starb, zog sie zu ihrer Oma.
„Dort in der Schule war ich in der zehnten Klasse Klassenbeste. In den Fächern, in denen ich vorher besonders schlecht war, hatte ich Einsen und Zweien. Da kannst Du mal sehen, was Lehrer anrichten können.“ Im Guten wie im Schlechten.
Mit der Schule weitermachen wollte Katharina dennoch nicht. Nach der 10. Klasse ging sie ab und begann eine Tischlerlehre. „In der Berufsschule haben sie mir einen Smiley geschenkt, so ein Plastikding, weil ich immer am Grinsen war.“
Im letzten Ausbildungsjahr beschloss sie das Abitur an der Abendschule nachzuholen. Arbeiten bis 16 Uhr, danach Unterricht bis 22 Uhr. „Aber das ging schon irgendwie.“
In dieser Zeit begann die Gewissheit sich Bahn zu brechen, dass sie im falschen Körper unterwegs ist.
„Mein Abitur habe ich komplett in Frauenklamotten geschrieben. Männername und Frauenklamotten….. Auf die Straße habe ich mich damals noch nicht getraut. Ich hab mich unterwegs im Auto umgezogen. Bescheuert, oder?“
Nur Zuhause in ihrem Zimmer lebte Katharina ihre wahre Identität. Ihre Großmutter konnte damit überhaupt nicht umgehen.“Sie war psychologisch sehr geschickt und schaffte es, dass ich mich als pervers und krank empfand.
„Wenn du Frauenklamotten trägst, landest du irgendwann auf dem Strich“, das war einer ihrer Sprüche!“
Wie in fast jedem Gespräch, das ich bisher geführt habe, fällt auch bei Katharina der Satz: „Das Internet war meine Rettung.“ Aus der Hilfslosigkeit und der Gewissheit, dass etwas mit einem selber ganz und gar nicht stimmt, herauszufinden, weil man erfährt, dass es anderen Menschen ebenso ergeht! Wer, der so etwas selber nie erleben musste, kann dieses Gefühl der Befreiung schon nachempfinden?
„“Mit der Transition begonnen habe ich im Spätsommer 2010, als ich meiner Hausärztin von meinem „Problem“ erzählt habe. Nachdem ich ernsthaft über Selbstmord nachgedacht hatte, weil ich weder ein noch aus wusste. Kein schönes Gefühl, Balkone meiden zu müssen… Zum Glück hatte sie ein offenes Ohr und den Willen mir zu helfen. Sonst wäre ich jetzt wohl tot. Irgendwie uncool ..“
Auf verschiedenen Internetseiten las Katharina zum ersten Mal über Transmenschen. Sie stieß auf den Blog einer Transfrau aus Kiel. Hier erfuhr sie einiges über die notwendigen Hormone. Über das Internet besorgte sie sich eine Antibabypille. „Als ich anfing, die einzunehmen, ging es mir schlagartig besser – und auch meine Brüste begannen sich zu entwickeln.“
Katharina lächelt in sich hinein.
Nach der Tischlerlehre und dem Abitur begann Katharina noch eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. „Das hat mir Spaß gemacht. Im praktischen Teil war ich ziemlich gut.“ Die theoretische Prüfung aber bestand sie nicht. „Mein Kopf war in der Zeit überhaupt nicht frei.“
Damit wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem Katharina zurück zu ihrer Großmutter hätte gehen müssen und sollen. Das aber wollte sie auf gar keinen Fall. Um jeden Preis wollte sie in Neubrandenburg bleiben. „Ich wohnte da mit einem Punk aus Dresden in einer wg zusammen. Der war durch seine eigene Geschichte so geprägt, dass er gar nicht anders konnte als tolerant zu sein. Für mein Leben interessierte er sich gar nicht besonders. Das war das, was ich brauchte.“
Um den Umzug zu ihrer Großmutter zu verhindern, schrieb Katharina sich an der Fachhochschule der Stadt Neubrandenburg für den Studiengang Lebensmitteltechnologie ein……. Dort blieb sie drei Semester. Dann musste sie abbrechen. „In der Zeit war ich einfach nicht stark genug für ein Studium.“ Also doch zurück.
„Von da an ging es mir immer schlechter. Nun wusste ich ja was mit mir los war und konnte es keinem sagen. Es ist ein Scheißgefühl mit Glaswänden um dich rum zu leben. Du siehst das Leben der Anderen um dich herum und bist doch gar nicht dabei.“
Katharina macht eine Redepause. Es ist, als ob sie sich kurz in sich zurückziehe. Dann ist sie wieder da. „In der Zeit habe ich zum ersten Mal Leute verstanden, die sich selbst verletzen. Du musst das tun, um dich endlich wieder zu spüren. Um zu spüren, dass du noch lebst.“ Während sie spricht, mache ich ein Foto von Katharina. „Dann kannst du auch gleich das hier fotografieren.“
„Lass uns noch ein wenig weitergehen. Wir könnten da hinten eine Runde über das Rollfeld drehen. Hast Du noch soviel Zeit?“
Katharina wirft sich ihren Rucksack über die Schulter. „Bis vor zwei Jahren hatte ich noch richtig lange Haare. Schön rot gefärbt. Das sah toll aus! Irgendwann haben sie mich aber beim Schlafen genervt. Außerdem haben sich die Haare immer in dem Rucksack verheddert. Da mussten sie eben ab.“ Katharinas Grinsen ist wieder da.
„Heute guckt mich keiner mehr doof an. Außer wenn ich den Mund aufmache. Aber das stört mich nicht mehr. Ein halbes Jahr lang habe ich Logopädie gemacht. Aber ständig die Stimme zu verstellen, dazu habe ich keine Lust!“
Wir bleiben an einer großen Übersichtstafel stehen. Lesen über die Geschichte des Tempelhofer Feldes. Spazieren in die Weite, das Rollfeld entlang. Aus ihrem Rucksack holt Katharina eine Kamera. „Die habe ich mir kurz vor dem Urlaub gekauft. Ein Freund hatte mir dazu ein Objektiv geborgt. Er hat die analoge Fotografie geliebt.“
Katharina fotografiert mich beim Fotografieren.
Es fängt an zu nieseln. Eine ganz tolle Stimmung ist das. Stille. Grau. „Eigentlich hätte ich mir aber doch Sonne gewünscht für unseren Ausflug. Das wäre noch toller gewesen!“
Vor ein paar Monaten hatte Katharina ihre geschlechtsangleichende OP. „Meine Name ist Katharina, ich bin 32 Jahre alt und wohne in Berlin. Vor nicht mal einem Monat habe ich mich in München der geschlechtsumwandelnden Operation unterzogen. Das hat mich so fundamental verändert… stell Dir ein Kind mit großen staunenden Kulleraugen auf dem Weihnachtsmarkt vor. So geht es mir gerade jeden Tag,“ so hatte Katharina diesen großen Einschnitt in ihr Leben in ihrer ersten Mail beschrieben.
Jetzt sagt sie: „Das war natürlich auch eine sehr harte Erfahrung. Sowohl körperlich als auch seelisch. Niemand bereitet Dich auf das vor, was da auf dich zukommt.“
Zum Leiden hatte Katharina keine Zeit: „Nach wenigen Wochen musste ich wieder zurück zu meiner Ausbildung. Die Wunde tat noch ziemlich weh. Besonders im Sitzen. Also habe ich mir beim Nähen ein Kissen untergelegt und hab auf dem Stuhlrand gesessen. Irgendwie musste ich ja weitermachen.“
Katharina nimmt ihre Geschichte als Anlass andere Menschen mit dem gleichen Schicksal zu unterstützen. „Ich bin viel im Sonntags-Club Berlin unterwegs, wo ich Kontakt halte zu den vielen verschiedenen Trans*menschen der Stadt und auch mit Neulingen rede, um ihnen ein bisschen die Angst zu nehmen. Vielen dient der Sonntags-Club als Anlaufpunkt um das erste Mal en femme vor die Tür zu gehen.“
Auch bei der Initiative „Trans in Arbeit“ der Stadt Berlin hat Katharina mitgearbeitet.
Noch ein letztes Foto: Das Polaroid. „Katharina, hierauf darfst du irgendetwas schreiben. Es muss nur mit „Ich“ anfangen.“ Katharina denkt lange nach. „Ich hab’s nicht so mit dem Ich. Ich bin sehr sozial geworden, bin lieber mit anderen Menschen zusammen.“ „Rara Avis“ schreibt sie, ein seltener Vogel.
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