Am 26.07.19 eröffnete die zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg und Senatorin der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung die Pride Week mit einem Senatsempfang im Rathaus.
Ihre bewegende Rede dürfen wir hier veröffentlichen. Vielen Dank!
Sehr geehrte Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrte Frau Prof. Schmidt-Ränsch,
sehr geehrte Frau Stahl,
liebes Ensemble des Transparence Theaters,
liebe Gäste, liebe Alle,
herzlich willkommen zum Senatsempfang anlässlich der diesjährigen Pride Week – der Jubiläums-Pride Week!
50 Jahre Stonewall-Aufstände: Was für ein historischer CSD!
Sicher haben Sie die Bilder von den Feierlichkeiten und Protestzügen in New York gesehen: Beeindruckend! Ermutigend! Tausende Menschen aus aller Welt waren angereist.
Sie feierten eine fröhliche und schillernde Parade vorbei am „Stonewall Inn“, wo vor 50 Jahren die Pride-Bewegung ihren Anfang nahm:
Feiernde Clubgäste wehrten sich damals gegen eine willkürliche und demütigende Razzia.
Der runde Jahrestag hat diese Kämpfe von 1969 noch stärker als sonst schon in Erinnerung gerufen: Stonewall ist identitätsstiftender Bezugspunkt einer weltweiten Menschen- und Bürgerrechts-bewegung gegen Rassismus, Sexismus, Trans*- und Homosexuellenfeindlichkeit.
Mittlerweile ist die Regenbogenflagge fest als Symbol dieser Befreiungsbewegung etabliert. Sie weht zur Pride Week an vielen Gebäuden unserer Stadt. Und jedes Jahr werden es mehr – ein starkes Bekenntnis zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt!
Die fröhlichen Bilder können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen: Auch heute gibt es willkürliche und demütigende Razzien gegen LSBTI*, in vielen Teilen der Welt. Homosexualität ist in verschiedenen Ländern nach wie vor strafbar.
In der Türkei wollen nationalkonservative Medien Hetz-Aufkleber gegen LSBTI* verteilen.
In Istanbul wurde die Pride-Demo erneut nicht genehmigt. Der Demonstrationszug, der sich dennoch formierte, wurde von der Polizei mit Tränengas aufgelöst.
In Polen, in Bialystok, griffen Rechtsextreme letztes Wochenende eine Pride-Parade mit Steinen, Flaschen und Böllern an.
Und auch bei uns erleben LSBTI* noch immer Diskriminierung, Ausgrenzung, Abwertung und auch Gewalt.
Den geistigen Boden bereiten verbale Angriffe im Netz und Kritik an den Erfolgen und Forderungen der Community. Auch aus dem politischen Raum. Diesem Rollback müssen wir entschieden entgegentreten! Es ist unsere Aufgabe, gleichzeitig errungene Freiheiten zu verteidigen und weitere, noch immer ausstehende Ziele zu erkämpfen!
Wir haben viel erreicht: die Ehe für Alle, die Option für einen dritten Geschlechtseintrag, Rehabilitierung und Entschädigung nach §175 StGB verurteilter Männer.
Hier in Hamburg haben wir gemeinsam mit der Community (mit Ihnen/ Euch!) den Aktionsplan für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt erarbeitet, eine politische Handlungsbasis, um in allen Lebensbereichen unserer Stadt Gleichstellung und Akzeptanz unterschiedlicher Lebens- und Liebensweisen herzustellen.
Der Aktionsplan wirkt!
Gleichstellung ist als Querschnittsaufgabe in vielen Bereichen angekommen. Wir haben viele Vorhaben in neuen Kooperationen umgesetzt. Bewährte und gut funktionierende Projekte haben wir weiter ausgebaut.
Gerade in diesen Zeiten müssen wir aber noch vieles grundsätzlich klarstellen.
Da ist der Bund in der Pflicht. Bzw. darauf versuchen wir immer wieder, über den Bundesrat hinzuwirken:
Das Grundgesetz stellt fest:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
– Da fehlt etwas! Und zwar gewaltig!
Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden, diese verfassungsrechtliche Klarstellung ist überfällig! Wir sind „Grundsätzlich gleich!“ Danke an die Pride Week Hamburg für dieses Motto. Professorin Dr. Schmidt-Räntsch wird in ihrer Festrede ihre Thesen dazu mit uns teilen.
Und noch etwas: Ein Mann, dessen Ehefrau ein Kind bekommt, wird rechtlich automatisch Vater. Eine Frau, deren Ehefrau ein Kind bekommt, wird mitnichten automatisch Co-Mutter! Mit allen Ihnen bekannten rechtlichen Unsicherheiten für das Kind. Deshalb setzt sich der Senat unverändert auf Bundesebene für ein modernes Abstammungsrecht ein.
Außerdem fordern wir, dass eine Trans*-Person, die im Personenstandsrecht als männlich eingetragen ist, auch in der Geburtsurkunde des Kindes als Vater geführt wird. Alles andere ist Zwangsouting!
Beim Transsexuellengesetz muss die ärztliche Beratungspflicht fallen.
So schafft man keine geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung! Und die unterschiedlichen Regelungen für Trans*- und Inter*-Personen verstoßen gegen das Gleichbehandlungsgebot. Womit wir wieder beim Grundgesetz wären…
Bei all diesen überfälligen Forderungen bleiben wir dran, bei all dem decken sich unsere Ziele mit denen der Community. Bitte: Lassen auch Sie nicht nach! Helfen Sie uns, den Druck aufrechtzuerhalten! Auf diese Weise haben wir so viel erreicht, s. Ehe für Alle/ 3. Geschlecht. Und das, obwohl die politischen Konstellationen diese Erfolge nicht gerade erwarten ließen!
Ein Blick zurück zeigt: In 50 Jahren lassen sich Vorurteile zertrümmern!
Es ist möglich, vorenthaltene Rechte erfolgreich einzufordern! So manche Person unter Ihnen hat Stonewall erlebt, hat die Bilder im Fernsehen gesehen. Wurde nach §175 verfolgt. Was für eine historische Zeitenwende seitdem! Das müssen wir uns immer wieder klarmachen, gerade jetzt, wo Stimmen lauter werden, die das Rad am liebsten genau 50 Jahre zurückdrehen würden.
Das ist Ihr Erfolg! Der Erfolg der Community! Der Erfolg in erster Linie all der Vereine, Verbände und Interessenvertretungen, die heute hier sind. Dafür möchte Ihnen herzlich danken! Danke für Ihren Einsatz, Ihr Engagement, Ihren Zusammenhalt, Ihre Hartnäckigkeit! All das brauchen wir auch weiterhin. Wir sind so weit gekommen! Aber es gibt noch viel Arbeit. Packen wir sie gemeinsam an!
Liebe Gäste,
wir haben heute ein Programm, das das Thema Trans* in den Mittelpunkt rückt. Das passt zu 50 Jahren Stonewall:
Es soll die Trans*-Aktivistin Sylvia Rivera gewesen sein, die in jener Nacht die erste Flasche warf und damit den Aufstand auslöste.
– Wie vielfältig die Lebenswege und Biographien von Trans*Personen sind, auf welche Widerstände sie stoßen und was ihnen Kraft gab und gibt, das bringt uns das Foto- und Textprojekt „Max ist Marie – mein Sohn ist meine Tochter ist mein Kind“ nahe.
Ich freue mich sehr, dass diese bundesweit gezeigte Ausstellung seit heute in der Rathausdiele zu sehen ist.
Ihre Macherin, die Hamburger Fotografin Kathrin Stahl, wird uns gleich einen ihrer Texte vorlesen, die die Porträts der Ausstellung begleiten.
– Im Anschluss freue ich mich sehr, unsere diesjährige Festrednerin Prof. Dr. Johanna Schmidt-Räntsch zu begrüßen; sie ist Mitglied des Bundesgerichtshofs und hat eine sehr bewegte Berufsbiographie – u. a. stammt von ihr der Entwurf zum Antidiskriminierungsgesetz von 2001.
– Last but not least freue ich mich auf den musisch-tänzerischen Beitrag des Transparence Theatre, das professionellen Darsteller*innen, die trans* sind, eine Plattform für ihr künstlerisches Können gibt und für das ich gerne die Schirmherrschaft übernommen habe.
Ich wünsche Ihnen eine fröhliche und erfolgreiche Pride Week!
Ich freue mich sehr, Ihre Gastgeberin zu sein und wünsche uns allen einen schönen Abend.
alle Fotos copyright Claudia Höhne