Dahme, Ostsee, im Mai 2014
Wie würde sie werden, die erste Fotosession für Max ist Marie?
Was wäre Michelle bereit mir zu erzählen? Michelle, Jahrgang 68. Genau wie ich.
Wie würde sie werden, die erste Fotosession für Max ist Marie?
Was wäre Michelle bereit mir zu erzählen? Michelle, Jahrgang 68. Genau wie ich.
An einem Wochenende im Mai besuche ich sie an der Ostsee, wo sie häufig freie Tage in ihrem Wohnwagen verbringt. Hier war sie schon immer gerne. Auch schon vor vielen Jahren, als sie noch gar nicht Michelle hieß, verheiratet war und Vater von drei Kindern.
Auf dem Weg am Campingplatz kommt sie mir entgegen, ein Leuchten in den Augen, wie ich es selten bei einem Menschen gesehen habe. “Dieses Leuchten habe ich in mir, seit ich Michelle bin.” Und überhaupt ist ganz viel Leuchten in ihrem Leben, seit sie als der Mensch leben darf, der sie ist.
Ein ganz tolles Gespräch haben wir. Sitzen in ihrem Wohnwagen zusammen mit ihrer Freundin Kristin, die das Wochenende mit ihr an der Ostsee verbringt.
Am Tag zuvor hatten sie beide eine Premiere: zum ersten Mal seit ihrem Outing waren sie im Bikini im Schwimmbad.
Als eine Freundin sie vor vier Jahren als Frau verkleidete, sah Michelle in den Spiegel und erkannte: sich! Ab dem Moment gab es keine Umkehr mehr. “Vorher kannte ich das Thema “Transgender” überhaupt nicht. Aber es war plötzlich ganz klar, dass ich im falschen Körper unterwegs war. Seit ich das weiß, geht auch eine seelische Verwandlung in mir vor sich. Vorher war ich extrem ruhig und introvertiert. Jetzt könnte ich den ganzen Tag plappern. Da ist so vieles, das ich zu erzählen habe. Jetzt bin ich ich! Ich habe mich endlich gefunden. Mein ganzes Leben vorher war ich auf der Suche nach etwas und ich wußte nicht, wonach.”
“Ich war schon immer eine Frau. Eine Frau ist man, die kann man nicht werden. Deswegen ist es auch Blödsinn, mich zu fragen, was ich vorher war, oder ob ich schon operiert bin. Ich bin einfach ICH.” Es macht mich ganz glücklich, dass ich solche starken Sätze in unserem Gespräch mitschreiben kann.
Von ihren Kindern erzählt Michelle und wie sie mit dem Thema umgehen. Ihre große Tochter lebt bei ihr, mit ihr versteht sie sich viel besser als vorher. “Ich kann jetzt ganz anders für sie da sein – und wir gehen zusammen shoppen.” Die beiden jüngeren Kinder sind bei ihrer Ex-Frau; sie kommen Michelle regelmäßig besuchen. “Für sie ist es schwieriger, weil sie beide mitten in der Pubertät stecken.”
Beruflich hat sich bei Michelle nichts geändert. Sie ist nach wie vor als IT-Beraterin selbständig. Die Kollegen in der Firma, in der sie gerade eingesetzt ist, sind gut mit der Umstellung umgegangen. Sogar an die Verwendung des richtigen Personalpronomens hatten sie sich schnell gewöhnt. Keine Beleidigungen, keine unangenehmen Fragen. Ist diese Offenheit eher ungewöhnlich oder der Normalfall?
“Für meine Eltern ist es nicht so einfach, sie verstehen nicht ganz, was da passiert. Und meine Schwester besteht seit meinem Outing darauf, dass meine Nichte mich “Onkel” nennt. Früher wurde das mit dem “Onkel” nie so hervorgehoben.”
Auf meine Frage: “Gibt es einen Satz, eine Situation, die Dich besonders verletzt hat?”, fällt Michelle kaum etwas ein, so sehr scheint sie mit sich im Reinen zu sein. “Mein Vater sagte mal zu mir: “Geh zum Bund, dann wirst Du wenigstens ein richtiger Mann.”, aber so richtig schlimm fand ich das damals nicht, ich wusste ja noch gar nicht, was mit mir los ist.”
Als ich die Mails las, die mich nach unserem Projektstart erreichten und in denen mir so viele Lebenswege erzählt wurden, wurde mir wieder sehr klar, wieviel Kraft Transgender-Menschen brauchen, um ihren Weg zu gehen. Michelle, die mir da leuchtend gegenüber saß, scheint selber sehr viel Kraft in sich zu tragen. Woher nimmt sie die?
Etwa zeitgleich mit ihrem Outing hat Michelle eine Schamanismus Ausbildung angefangen. Das gibt ihr Energie. In Situationen, in denen andere aus den Trans-Foren das Gleichgewicht verlieren, schafft sie es, gelassen zu bleiben. Mit Beginn der Hormontherapie allerdings war ihre Kraft für einige Zeit aufgezehrt. Die Depressionen saugten sie völlig leer. “Wie ein Neutrum fühlte ich mich zeitweise. Ganz schlimm!”
Jetzt sind die Hormone gut eingestellt, sie hat ihre Brust-OP hinter sich (“Selber bezahlt. Wenn es nach der Krankenkasse gegangen wäre, hätte ich noch zwei Jahre warten müssen. Das hätte ich gar nicht ausgehalten.”) und Michelle fühlt sich wieder stark. Über den Schamamismus möchte sie jetzt anderen Menschen Kraft geben. Überhaupt: Für andere Menschen da sein, das war schon immer ein Thema in ihrem Leben. “Das ist so typisch: sehr viele TS übernehmen Ehrenämter und kümmern sich mehr um andere als um sich selbst. Damit laufen sie auch vor sich selber weg”.
Kurz bevor ich gehe, darf ich noch etwas sehr Persönliches fotografieren: “Kannst Du etwas zu unserem Shooting mitbringen, das Dein Leben gerade ausmacht?“, hatte ich Michelle vor unserem Treffen am Telefon gefragt. “Ah, da weiß ich schon etwas!” Für Michelle sind es ihre Kraftsteine und ihr Webteppich aus der Schamanismus Ausbildung. “Der Teppich und die Steine finden Dich und sind Teil von Dir bis zum Ende Deines Lebens.”
Und außerdem wäre es toll, wenn Du ein Dokument mitbringen könntest, das Dir besonders wichtig ist. “Das ist meine Bank-Karte! Als ich das erste Mal damit bezahlen und mit meinem Vornamen Michelle unterschreiben konnte, war das ganz groß!” Und dann erzählt Michelle von einem noch größeren Moment: “Als ich mit meiner alten Karte bezahlen wollte, meinte die Kassiererin, dass mein Mann schon mitkommen müsse, wenn ich seine Karte benutzen wolle.”
Danke, Michelle, dass ich Dich kennenlernen durfte!
…unsere Michelle ist ein ganz besonderer Mensch! <3 Kussi Süße <3